Wie im letzten Jahr schockieren die Ergebnisse der zentralisierten Mathematik-Reifeprüfung. Fast ein Fünftel der Prüflinge wurde negativ bewertet. Während wieder nach den Gründen dafür gesucht wird, sehe ich einen Widerspruch systemischer Natur. Der Grund, warum ich stets skeptisch zur zentralisierten Reifeprüfung gestanden bin, ist nicht die an sich umstrittene Idee. Frankreich hat damit gute Erfahrungen. Es ist die systemische Inkongruenz zwischen gewollter Vielfalt und einem zentralisierten Output.
Was wollen wir eigentlich?
Im österreichischen Bildungsdiskurs fiel stets das Argument, dass wir ein möglichst vielfältiges System haben wollen. Entgegen der Expertise fast aller BildungswissenschaftlerInnen weltweit halten wir an einer pädagogischen Trennung oder Selektion nach der vierten Klasse Volksschule im Alter von zehn Jahren fest. Die meisten Eltern werden von einem deutlichen Entwicklungssprung ihrer Kinder mit zwölf oder 13 Jahren berichten können. Vorher zu selektionieren, spricht also gegen entwicklungspsychologische Überlegungen.
Für viele SchülerInnen beginnt mit der Sekundarstufe die stete Suche nach einem System, das am besten zu ihrer Persönlichkeit, ihren Stärken und Interessen passt. Die Auffächerung in verschiedene Bildungsschienen ist mit dem Beginn der Sekundarstufe systemisch - die Frage nach der Sinnhaftigkeit steht auf einem anderen Blatt Papier - gewollt. Zu allem Überdruss wird am Ende der Sekundarstufe II mit der Zentralmatura der Versuch unternommen, zu vereinheitlichen, wo nicht mehr vereinheitlicht werden kann - vielleicht auch nicht soll.
Ein System auf der Suche nach der Identität
Ich war stets der Meinung, dass eine zentralisierte Überprüfung der Kompetenzen spätestens mit dem Abschluss der Sekundarstufe I sinnvoll wäre. Zu diesem Zeitpunkt spielen die Schwerpunkte der jeweiligen Schulen noch nicht die dominierende Rolle. Im Bildungsdiskurs wurde immer wieder von einer Stärkung der Autonomie des Schulstandortes gesprochen. Die jeweilige Schule kann so besser auf die jeweiligen Bedürfnisse ihrer SchülerInnen eingehen und ihre Schwerpunkte danach adaptieren.
Eine zentralisierte Reifeprüfung am Ende dieses Prozesses einzuführen, wäre meiner Auffassung nach ein systemischer Widerspruch. Will man nun eine Angleichung oder eine Individualisierung der Schulen? Die zentralisierte Reifeprüfung ist letztlich Ausdruck eines Bildungsverständnisses, das aus der Zeit der industriellen Revolution stammt. Auch für die weitere akademische Laufbahn erschließt sich mir der Sinn einer Zentralmatura noch nicht. In Frankreich werden die Ergebnisse der Reifeprüfung gereiht und dienen zur Zulassung zu bestimmten Studien.
Nachdem aber vermehrt Studienrichtungen auf Eingangstests setzen, um mit dem Andrang umgehen zu können, fällt auch dieses Argument weg. Am Ende des Tages steht die Frage, was das Bildungssystem eigentlich leisten soll. Geht es um die Bildung oder um die Ausbildung unserer Kinder?