„Niemand besitzt die Wahrheit, daher lohnt es sich, um die Wahrheit zu streiten.“ (Stuart Mill)
Mit einem Satz hat der britische Philosoph Stuart Mill das Wesen der Demokratie beschrieben. Freie Meinungsäußerung und der faire Kampf der Argumente zeichnen unsere aufgeklärte Gesellschaft aus. Ich habe diesen Satz kürzlich in einem packenden Buch gelesen und habe mich gefragt, ob sich unsere Demokratie tatsächlich an diese Prinzipien hält.
Der faire Kampf der Argumente
Eine Demokratie sollte das, was der Engländer „level playingfield“ nennt, schaffen. Die vertretenen Meinungen auf der Basis fundierter Argumente haben alle die gleichen Voraussetzungen, beachtet zu werden. Das sagt zumindest die Theorie. Wir alle wissen, dass dem realiter nicht so ist. Das Geld und der politische Einfluss schaffen unterschiedliche Ausgangssituationen. Vom theoretischen Pluralismus haben wir uns mittlerweile entfernt und folgen einem Mainstream, von dem wir nicht wissen, wer diesen letztlich kontrolliert.
Wovon wir ausgehen können ist, dass erfolgreich gewählte PolitikerInnen diesen gekonnt nutzen und lenken können. Dabei kontrollieren sie die erzählten Narrative und entscheiden gleichzeitig über die Validität etwaiger Gegenpositionen. Mit der demokratischen Meinungsfindung hat dieser Vorgang wenig zu tun. Worüber wir bei jeder Wahl entscheiden, sind vorgetragene Meinungen entlang eines Mainstreams, dem wir, das ist das Wesen einer Demokratie, kritisch gegenüberstehen sollten.
Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom
Ich erfreue mich immer eines lebendigen Austausches mit Menschen, die sich ihre zwei, drei systemkritischen Gedanken machen. Eine demokratische Gesellschaft ermöglicht ihren MitgliederInnen - zumindest in der Theorie - gegen Konventionen aufzutreten und sprichwörtlich gegen den Strom zu schwimmen. Ich genieße die Lektüre von JournalistInnen und AutorInnen, die gegen den Mainstream auftreten, obwohl ich ihre Meinung oft nicht teile.
Dankenswerterweise lebe ich nicht in einem totalitären Regime. Ich darf noch meine Meinung kundtun. Ob ich gehört werde, hängt davon ab, ob ich im Mainstream schwimme oder systemkritisch bin. Man bekommt das Gefühl, kritische Meinungen hätten in ihrer Validität weniger Wert verdient. Eingedenk dieses Befundes muss ich konsequenterweise attestieren, dass dem demokratischen Meinungs- und Argumentationsaustausch nur abhängig vom Grad der Systemkritik Gehör geschenkt wird.
Demokratie der Politik, nicht des Geistes?
Man könnte zusammenfassend zum Schluss kommen, dass wir der Form nach in einer Demokratie leben, aber eigentlich „nur“ noch unsere VolksvertreterInnen in einem demokratischen Modus wählen. Wenn es um den fairen Kampf der Argumente und Meinungen geht, haben wir uns von ihr entfernt. Nicht jede/r, der/die vom Mainstream abweicht, kann dem Populismus zugeschrieben werden, und nicht alle, die Vladimir Putin kritisieren, sind automatisch seine AgentInnen.
Die Qualität der Argumentation sollte im Vordergrund stehen. An PopulistInnen stört mich die seichte Logik ihrer Punkte. Aber eine Demokratie zeichnet sich durch die Pluralität der Meinungen, Standpunkte und Argumentationen aus. Vermutlich bleibt die finale Einschätzung eine subjektive, ob Meinungen abseits des Mainstreams das gleiche Gehör geschenkt wird. In diesem Zusammenhang spielen persönliche Erfahrungen eine große Rolle. Ich finde es traurig, wenn valide Meinungen unter dem Deckmantel fadenscheiniger Argumente nicht die gleiche Aufmerksamkeit bekommen.