Leben wir nicht in zynischen Zeiten? Wir reden von der Work-Life-Balance und machen uns gleichzeitig zu den Sklaven unserer mobilen Geräte, damit wir noch mehr eingespannt werden. Wir essen ungesund zwischendurch und brauchen ExpertInnen für Ernährung, die uns sagen, dass das nicht gut ist. Anstatt zu Fuß zu gehen, benötigen wir eine Uhr am Handgelenk, die uns daran erinnert, noch einige Schritte zu machen, bevor der Tag zu Ende geht. Vielleicht haben wir verlernt, auf uns zu hören und die bevorstehenden Feiertage könnten genützt werden, um in uns zu gehen.
Der Verlust des Vertrauens
Woher kommt diese Hörigkeit, die wir beispielsweise unseren Handys entgegenbringen? Glauben wir tatsächlich, dass es stimmt, was uns dieses Gerät sagt, weil es uns besser kennt als wir uns selbst? Möglicherweise entsteht unsere Verunsicherung, weil uns immer mehr Geräte sagen, dass unser Lebensstil adaptiert werden müsste. Versteht mich nicht falsch: Wenn ich in der Stadt spazieren gehe und den hohen Anteil übergewichtiger Kinder sehe, stelle ich schon fest, dass ein Ungleichgewicht zwischen Ernährung und Bewegung besteht.
Leider werden die Konzepte eines guten Lebens, oder was dazugehören würde, in der Schule nicht vermittelt. Wenn die Schule auf das Leben vorbereiten soll, wäre das aber notwendig. Was unseren Jüngsten an Stoff beigebracht wird, vergessen sie in kürzester Zeit oder sie vertrauen darauf, dass das Kasterl in der Hosentasche mehr Wissen hat, als sie. Jedoch führt diese Haltung dazu, dass wir auch bei wichtigen Fragen auf diese übergeordnete Autorität hören.
Die Entfremdung von uns selbst
Der Verlust des Vertrauens zu uns selbst führt zu einer immer größeren Distanz zwischen unserem Ist- und Sollzustand. Es mag kein Zufall sein, dass auf diesem Weg immer mehr Menschen eine Phase der Selbstsuche haben und den Status quo hinterfragen. Konzepte wie die Mindfulness leiten uns an, bewusster das Leben wahrzunehmen. Doch letztlich geht es bei diesen Erfahrungsreisen eigentlich nur darum, uns wieder kennenzulernen. Als ob man eine Art Reset-Knopf suchte, der unsere Werkseinstellungen wiederherstellt. Genau hier liegt der große Unterschied zu den Geräten, die unser Leben verbessern sollen.
Die sagenumwobenen Werkseinstellungen gibt es bei uns nicht. Wir entwickeln uns dankenswerterweise weiter. Die Person, die ich vor zehn Jahren war, hat mit meiner heutigen vermutlich sehr wenig zu tun. Daher möchte ich auch eigentlich nicht von einer Entfremdung sprechen. Ja, gemessen daran, wie ich war, habe ich mich entfremdet. Aber solange ich ein gestalterischer Teil dieser Entwicklung bin, sehe ich mehr den Fortschritt als die Entfremdung. Vielleicht ist eine Selbstfindung eine Midlifecrisis light. Wir versuchen etwas wiederzuerlangen, von dem wir wissen, dass es unwiederbringlich ist.
Die Zeit verstehen
Bekanntlich kann man das Rad der Zeit nicht zurückdrehen und könnten wir es, wäre das traurig. Nur, weil wir die Uhr erfunden haben, heißt das noch lange nicht, dass wir die Zeit kontrollieren. Wir messen sie nur strukturiert in kleinen Einheiten. Durch sie sehen wir unsere Veränderung im zeitlichen Kontext. Bei vielen löst dies das Bedürfnis aus, in die Vergangenheit reisen zu können.
Vielleicht sollten wir die Zeit nicht als Gegnerin, sondern als Gefährtin sehen. Als unumstößliche Tatsache. Ich teile mein Leben in Phasen ein und rechne bestimmte Emotionen diesen Phasen zu. Wie lautet das Zitat? „Wer mit 20 kein Idealist ist, hat kein Herz, wer mit 40 noch immer Idealist ist, hat keinen Verstand.“ Es geht als um die zeitliche Attribuierung der jeweiligen Emotionen. Auf diese Weise gelingt es mir, die Verrücktheiten unserer Zeit als zynisch abzustempeln und mich auf neue Entwicklungen zu freuen - bei mir und gesellschaftlich …