Stirbt mein Europa?

Figur auf europäischer Landkarte
Quelle: https://www.pexels.com/photo/blur-cartography-close-up-concept-408503/ 13.03.2018

Was in den 1990er Jahren noch als europäische Aufbruchsstimmung in weiten Teilen der Bevölkerung zu bemerken war, ist heute dem Skeptizismus gegenüber der EU unter dem Deckmantel fadenscheiniger Argumente gewichen. Vielleicht haben wir die Lektionen des 20. Jahrhunderts nicht gelernt. Möglicherweise war der europäische Geist nie im notwendigen Ausmaß vorhanden. 

Europäische Ideale?

Gibt es so etwas wie europäische Ideale? Wenn es tatsächlich Ähnliches geben sollte, wäre die Grundvoraussetzung entscheidend, sich auf ein gemeinsames Verständnis der Geschichte zu einigen. Einen gemeinsamen Kulturraum zu definieren, wie es die RechtspopulistInnen gerne umsetzen würden, ist unmöglich. Deshalb fand eine diversifizierte Entwicklung in mehreren Ländern statt. Was Europa einte, zumindest war das meine Annahme, war der Wunsch, dass uns nicht mehr nationalstaatliche Wahnvorstellungen dorthin bringen, wo wir während des Zweiten Weltkriegs und während des Kalten Krieges waren.

Wir haben erfahren, was die Trennung durch Blöcke mit einer Gesellschaft anstellt. In letzter Zeit sind immer mehr Bruchlinien in einem, der Idee nach, geeinten Europa zu erkennen. Den meisten Menschen wird die Umverteilung der ankommenden Flüchtlinge als Beispiel präsent sein. Jetzt flammt wieder ein alter Streit über die Grenzziehung zwischen Slowenien und Kroatien auf, obwohl man sich vertraglich zu deren Einhaltung verpflichtet hat. Kroatien möchte 2019 der EU beitreten.

Solidarität sieht anders aus

2 Puzzle-Steine
Quelle: https://pixabay.com/de/puzzle-zusammenarbeit-gemeinsam-1020430/ 13.03.2018

Es ist sinnbefreit, über die europäische Identität zu schreiben und die Solidarität auszuklammern. Wenn ich behaupte, dass die europäische Identität nur so weit reicht, wie die Geldströme fließen, ist das bestimmt keine Untertreibung. Beim Entgegennehmen von Förderungen wird der Geist des gemeinsamen Europas beschworen und wenn es um die Umverteilung von Flüchtlingen geht, wird von falscher Solidarität gesprochen.

Diese Interpretation läge alleine in den Händen der Nationalstaaten, so lautet die Argumentation. Das wirkt grotesk. Es gibt auf keiner Ebene eine Gesellschaft à la carte. Die Chancen eines gemeinsamen Europas liegen in der geteilten Last der Herausforderungen und der Multiplikation der Vorteile. Doch damit geht eine gemeinsame Verantwortung einher. Dass diese nicht wahrgenommen wird, spiegelt ein brüchiges Europa wider.

Schengen als Gradmesser

Durch teilweise nicht nachvollziehbare Grenzkontrollen wurde Schengen seit einiger Zeit de facto außer Kraft gesetzt. Dabei handelt es sich beim Schengen-Abkommen um ein zentrales Element des geeinten Europas. Ohne Wartezeiten an den Grenzen zu reisen und Handel ohne Zölle zu betreiben, glich einem Paradigmenwechsel in der jüngeren Geschichte unseres Kontinents. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als man für einen einfachen Italienurlaub wesentlich mehr Zeit wegen der Wartezeiten an der Grenze einkalkulieren musste.

Grenzzaun
Quelle: https://pixabay.com/de/entthront-zaun-metall-draht-schutz-690503/ 13.03.2018

Die Grenzen wieder dicht zu machen, ist eine Rückbesinnung auf die Illusion, als Nationalstaat alleine alles besser machen zu können. Ist das nicht paradox? Wir kaufen online über alle Grenzen hinweg ein und kommunizieren in Echtzeit mit Menschen am anderen Ende der Welt. Aber wir schaffen es nicht, in einem geeinten Europa die Grenzen, die Sicherheit und die Solidarität als europäisch zu verstehen. Wo ist, wenn er jemals vorhanden war, der Geist der europäischen Integration?