Das Massaker in Florida macht nachdenklich. Können wir mit einem Land kooperieren, dass unsere Werte, so wir uns darauf einigen können, mit Füßen tritt? Die Zahl der Menschen, die durch Waffen in Privatbesitz sterben, ist in keinem Land so groß wie in den USA. Ein vernünftiger Mensch hätte längst die Reissleine gezogen und den Besitz von Waffen unter schwerere Auflagen gestellt. Aber das ist nicht die einzige Baustelle der USA.
Das politische Gewicht der NRA
Der Definition nach ist Lobbyismus die Antithese zu einer fairen, demokratischen Vertretung. Wir bemerken dieses systemische Problem auch in Brüssel. In den USA sponsert die National Rifle Association, NRA (die amerikanische Waffenlobby; Anm.) stets den Wahlkampf von vorwiegend konservativen PolitikerInnen und sichert damit ihre Interessen ab. In den USA ist das Recht, eine Waffe zu besitzen, tief in der DNA dieses Landes verankert und auch ein Teil der Verfassung.
Vermutlich handelt es sich hier um ein Relikt aus der Zeit des Wilden Westens, aber darum geht es nicht. Gesellschaften entwickeln sich weiter und wer stehen bleibt, fällt zurück. Die amerikanische Gesellschaft ist mittlerweile weit weg von den Prinzipien einer offenen, liberalen und friedlichen Gesellschaft. Dem sozialen Unfrieden wird oft mit Waffengewalt Ausdruck verliehen und an die Spitze des Staates wurde ein Mann gewählt, der sich in einem Paralleluniversum zu bewegen scheint. Jedenfalls hat es mit Europa wenig zu tun.
Populismus im Endstadium
Europa mit den USA zu vergleichen, wäre nicht seriös. Aufgrund der Heterogenität beider Gesellschaften können keine allgemeinen Schlüsse gezogen werden. Wir können dennoch die Entwicklungen der USA als Warnsignal eines ungebremsten Populismus verstehen. Teilen der Bevölkerung nach dem Mund zu reden, um Stimmen bei der nächsten Wahl ohne Vision zu generieren, kann fatale Folgen haben. Noch schlimmer wird es, wenn die menschliche Haltung dahinter fehlt und Interessen einer Lobby mehr wiegen als Menschenleben. Bei jedem Amoklauf oder Massaker in den USA wird dieser Umstand auf traurige Weise zur Schau gestellt.
Der Einfluss der Waffenlobby (NRA) ist so groß, dass das Leben von Kindern in der Schule gefährdet ist. Ich könnte mein Kind nicht an eine Schule in den USA ruhigen Gewissens gehen lassen. Die traurige Lehre des Populismus ist, dass dieser nicht gegen vernunftbegabte Argumente ankommt. Das vernünftige Argument der Einschränkung des Waffenbesitzes, um Menschenleben nicht in diesem Ausmaß zu gefährden, wird sofort von der Emotion der Einschränkung der persönlichen Freiheit torpediert. Dass BürgerInnen nicht mehr in der Lage sein sollen, ihr persönliches Hab und Gut notfalls mit Waffen zu verteidigen, scheint in den USA in manchen Teilen der Bevölkerung starkes Unbehagen auszulösen.
Die Sensibilität eines Presslufthammers
Die Probleme der transatlantischen Beziehungen enden aber nicht nur hier. Denn auch in der Außenpolitik gibt es erhebliche Differenzen. Wo VertreterInnen europäischer Staaten den vorsichtigen Ausgleich suchen und vermitteln wollen, beherrscht die Kampfrhetorik von Donald Trump die amerikanische Cowboy-Diplomatie. Dann wäre da ein evidenter Widerspruch: Die zentrale Botschaft lautet „Let’s make America great again“. Meiner Auffassung nach bedeutet das die Bereitschaft, in zentralen Fragen eine Führungsrolle zu übernehmen.
Das zentrale Zukunftsthema ist der Klimawandel. Dass dieses mit Füßen getreten wird, indem man aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigt und den Klimawandel per se leugnet, steht mit dem europäischen Konsens auf Kriegsfuß. Auch die kritische Haltung zu Russland und der diplomatische Ansatz in der kritischen Koreafrage werden keineswegs geteilt. Dann wäre da noch die jüngst ausgelöste Unruhe an den Börsen aufgrund der amerikanischen Innenpolitik. Tatsächlich verbindet die USA und Europa aktuell nicht viel.
Zeit zur Emanzipation
Spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind die USA und Europa enger miteinander verflochten. Aber seit der Amtszeit von George W. Bush hat ein Prozess der Entfremdung eingesetzt, der den Atlantik zwischen den beiden Kontinenten gefühlt größer werden lässt. Zwar entspannte sich das Verhältnis beider Kontinente während der Amtszeit von Barack Obama, aber das lag auch daran, dass dieser sich vermehrt der Außenpolitik zuwandte, weil ihn der Kongress aufgrund der republikanischen Mehrheit blockierte. Jetzt führt die Entfremdung zu einem veritablen Bruch. Offenbar scheint das Verhältnis zu Russland wichtiger zu sein, als zu Europa. Die europäischen Staaten tun gut daran, sich in Zukunft nicht auf die USA zu verlassen …