Gestern kam mir ein kurzes Statement der mittlerweile verstorbenen Vera F. Birkenbihl unter. Bereits damals hielt sie fest, dass die Schulbücher für Lehrkräfte als Zielpersonen gestaltet würden. Schließlich wären sie es auch, die sie für den Unterricht aussuchen. Vermutlich sähen die primären Arbeitsunterlagen für die Schule wesentlich anders aus, konzipierten sie SchülerInnen. Ihren Befund teile ich und gerade in Zeiten der Neugestaltung für die elektronische Nutzung mit Notebooks oder Tablets, den sogenannten eBooks, dürften wir diesen Fehler wieder begehen.
Der Ersatzlehrplan
Während des Studiums lernen angehende Lehrkräfte die Lehrpläne sehr genau kennen. Diese sind, das ist nicht nur mein Eintruck, sehr umfangreich. In der Unterrichtspraxis läuft man daher Gefahr, ein paar Aspekte zu vergessen. AutorInnen von Schulbüchern müssen sich eingehend mit ihrer Abdeckung befassen, damit es ihr Werk auf die Liste der offiziell für den Unterricht zugelassenen Bücher schafft. Heute kann eine Lehrkraft davon ausgehen, dass der Lehrplan erfüllt sein dürfte, wenn alle Kapitel eines Schulbuchs in der Klasse besprochen wurden.
Ich möchte niemandem etwas unterstellen, aber es kann sein, dass sich die LehrerInnen gar nicht mehr mit dem Lehrplan befassen müssen und lieber ein gutes, weil präzises Schulbuch auswählen. Genau hier liegt vielleicht der Fehler im System. Es wird zu sehr auf die Erfüllung des Lehrplans geachtet und zu wenig der Frage nachgegangen, wie die Inhalte am besten den SchülerInnen vermittelt werden können. Mit anderen Worten: Wie würden diese ein Schulbuch gestalten?
SchülerInnen wollen Interaktivität
Gleich zu Beginn dieses Absatzes muss ich festhalten, dass mit der Interaktivität nicht gemeint ist, dass die Schulbücher möglichst viel Technologie integrieren müssen. In Zeiten wie diesen wäre es fast nachlässig, das vorhandene Potenzial an Technologie ungenützt zu lassen. Aber zwingend notwendig ist das nicht. Mit Interaktivität ist vor allem gemeint, dass die SchülerInnen mit dem vermittelten Inhalt in eine Interaktion treten.
Beispielsweise wenn sie etwas ausschneiden, anmalen, die Lösungen ihrer Aufgaben hineinschreiben oder mittels Augmented Reality ihrer Vorstellungskraft Ausdruck verleihen, spräche man von Interaktivität. All das sind nur Beispiele, wie ein Buch gestaltet werden könnte. Ebenso empfiehlt es sich bei der Konzeption von Schulbüchern viele verschiedene Möglichkeiten der Interaktion abzudecken, damit der vermittelte Inhalt nie langweilig wirkt.
Das digitale Potenzial
Nach den Motto „besser später als nie“ stehen wir gerade davor, die Schulbücher völlig neu zu gestalten. Was das Gewicht meiner Schultasche noch erheblich anstiegen ließ, soll nun mittels eines Gerätes - die Auswahl ist groß - ersetzt werden. Aus orthopädischer Sicht sind derartige Initiativen zu begrüßen. Das große Potenzial elektronischer Geräte liegt vor allem in ihrer Pluralität der Darstellungsmöglichkeiten. Interaktive Schulbücher könnten damit schnell ein integraler Bestandteil des Unterrichts werden. Denn neben traditionellen Texten und Bildern, könnten auch interaktive Übungen, Augmented Reality, Videos, Vernetzungen mit MitschülerInnen, Bewertungen und Feedback integriert werden.
Doch das Beste ist, dass die Inhalte an die jeweilige Lerngruppe, sogar an jede Schülerin und jeden Schüler angepasst werden könnten. Systemisch erkenne ich allerdings drei Voraussetzungen: Erstens sollten die Lehrpläne - die Forderung ist sehr alt - endlich entrümpelt werden. Zweitens ist ihre genaue Kenntnis unter den LehrerInnen eine absolute Grundbedingung. Aber dieses Anliegen ist auch leichter realisierbar, wenn diese zuvor entrümpelt wurden. Und drittens sollte die Leistungsbeurteilungsvorordnung endlich an das 21. Jahrhundert angepasst werden, zumal beurteilt werden muss, was zuvor neu vermittelt wurde …