Im zweiten Teil meines Jahresrückblicks möchte ich näher auf die Entwicklungen im Bildungssystem im abgelaufenen Jahr eingehen. Die Spannungen zwischen Resignation und Aufbruch, Retro und Fortschritt und Konservatismus und Innovation prägten dieses Jahr. War ich im November noch euphorisch das Entwicklungspotenzial in der Bildung betreffend, hat sich dieses Bild mittlerweile geändert.
Die Kinder im Zentrum
Ich werde niemals müde zu betonen, dass alle Maßnahmen im Bildungssektor die künftigen Generationen prägen werden und ein Versäumnis hier einem Verrat an unseren Kindern gleichkommt. Vor diesem Hintergrund beleuchte ich stets die aktuellen Tendenzen. Als positive Entwicklung des abgelaufenen Jahres sei festgehalten, dass der SchülerInnen-zentrierte Unterricht gerade in den naturwissenschaftlichen Fächern durch Projektarbeiten bei LehrerInnen immer beliebter wird. Initiativen wie #Madebykids haben es verstanden, die Brücke zwischen formaler und informeller Bildung zu schlagen. Genau auf diesem Gebiet ist einiges Entwicklungspotenzial vorhanden.
Nicht nur Eltern ergreifen die Initiative, auch Firmen wie beispielsweise projektor.at versuchen Schulen zu helfen, wo das System an seine Grenzen stößt. Auch bei der Ausbildung von LehrerInnen werden neue Wege beschritten. Konzepte, welche die pädagogische Interaktion im Klassenraum neu organisieren, werden beispielsweise an der PH Wien in einem Future-Classroom-Setting den Studierenden näher gebracht.
In Kombination mit dem Equipment, das privatwirtschaftliche Firmen wie projektor.at zur Verfügung stellen, werden innovative Energien frei, die auf der Interpädagogica - Österreichs größter Bildungsmesse - demonstriert wurden. Von den interaktiven Panels der Firma Promethean, über innovative Schulbücher, bis hin zu Augmented Reality und tollen Wissensspielen war sehr viel Bewegung zu spüren. Bei all diesen Initiativen standen die SchülerInnen und ihre Interaktion im Vordergrund. Daher war ich Mitte November noch sehr zuversichtlich.
Die technischen Entwicklungen helfen
Das Angebot technischer Unterstützung für den pädagogischen Prozess ist mittlerweile so groß, dass jede Lehrkraft bei der Anreicherung ihrer/seiner Unterrichtsstunde - entsprechend der gegebenen Voraussetzungen in der Schule - fündig werden sollte. Von Highend-Lösungen wie den interaktiven Panels, über Tablets, bis hin zu kleinen Robotern, die den Einstieg in das Programmieren bilden, ist das Angebot mannigfaltig. Auch aktuelle Trends wie Augmented Reality finden sich.
Die Kostenspanne beträgt von knapp über 7.000 Euro für das beste Interactive Panel, bis zu 12 Euro für die kleinsten Roboter, den sogenannten Micro:bits. Es findet sich in jedem Preissegment etwas Passendes. Mittlerweile sind auch die pädagogischen Konzepte für eine erfolgreiche Implementierung dieser Technologien entwickelt und stehen meist kostenlos zur Verfügung. Mein ursprünglicher Befund, dass die Zutaten im Bildungssystem stimmen, kann daher unterstrichen werden. Es krankt an der systemischen Implementierung.
Ein großer Schritt zurück
Die bildungspolitische Ausrichtung der aktuellen Bundesregierung hat meinen Optimismus gehörig gebremst. Die verpflichtende Wiedereinführung der Ziffernnoten in den ersten drei Schulstufen ist an Rückwärtsgewandtheit kaum zu überbieten. Wichtiger als jede Note ist, dass die SchülerInnen verstehen, warum sie in unterschiedlichen Gebieten gut oder schwach sind. Eine fünfteilige Notenskale liefert für die Kinder noch keine entsprechende Erklärung ihrer Leistung. Die verantwortliche Lehrkraft muss nach der Leistungsbeurteilungsverordnung bewerten. Da ist genau festgehalten, wie eine Note zustande kommt. Eltern und SchülerInnen liegt diese Verordnung in der Regel nicht vor.
Manchmal habe ich das Gefühl, die Noten erfüllen den Zweck, dass die Eltern die Leistung ihrer Kinder leichter einschätzen können. Und abschließend möchte ich zu diesem Thema noch festhalten, dass die Wiedereinführung der Noten nichts mit der Leistungsorientierung zu tun hat. Das wäre so, als würde man argumentieren, Respekt können sich die Eltern und LehrerInnen nur durch die Androhung oder die Ausführung von Gewalt verschaffen. Dahinter liegt - genauso wie bei den Noten - aber in vielen Fällen Angst und niemand, die/der sich mit Pädagogik beschäftigt, würde das behaupten.
Der zweite Aspekt, der mich irritiert zurücklässt, ist, dass die Sonderschulen erhalten und ausgebaut werden sollen. Damit verstößt man offen gegen die UN-Behindertenkonvention. Heutzutage gibt es wunderbare Konzepte, wie das Teamteaching, die einen integrativen Unterricht ohne nennenswerte Einbußen ermöglichen. Doch dazu müssten die Investitionen endlich an der richtigen Stelle ankommen - den Schulen. Denn wenn alles eitel Wonne ist, frage ich mich, wieso unsere SchülerInnen bei den P.I.S.A.-Tests so schlecht abschneiden, obwohl wir im OECD-Vergleich mit der Langform des Gymnasiums eine der teuersten Schulformen weltweit haben.
Quo vadis?
Während uns andere Länder überholen, scheinen wir stolz darauf zu sein, auf dem Pannenstreifen zu parken, um den Retourgang zu suchen. Die Eltern wollen etwas Neues und die SchülerInnen möchten sich wieder auf die Schule freuen. Ganz oben auf der Wunschliste einiger LehrerInnen steht, dass sie von der Gesellschaft dafür geachtet werden, einen sehr wertvollen Beruf auszuüben. Vielleicht sollten wir endlich das Narrativ aufgeben, dass jene Konzepte, mit denen wir gebildet wurden, für die nächste Generation passen.
Wir vertrauen ja auch keinen ChirurgInnen, die uralte Methoden anwenden. Diese Beobachtung schmerzt umso mehr, zumal die erfolgreichen Konzepte auf dem Tisch liegen und die technische Unterstützung und deren pädagogische Einbettung bereitstehen. Doch bisher bremst das aktuelle System, getragen von der neuen Bundesregierung, gehörig. Ob diese im 21. Jahrhundert ankommt und europäische Erkenntnisse und Elaborate, die wir teilweise mitentwickelt haben, umsetzt, oder ob sich die Sehnsucht nach Zucht und Ordnung durchsetzt, bleibt abzuwarten …