„Kehren wir doch lieber zum Erprobten zurück!“ oder „Die Schule hat keinen Platz für Experimente!“ Diese Stehsätze nerven langsam. Andere Länder legen die pädagogischen Scheuklappen viel früher ab und befinden sich auf der Überholspur, während wir in Österreich stolz darauf sind, am Pannenstreifen zu parken. Aber die Zeiten ändern sich …
Was wir Eltern wollen
Der Druck, dem wir Eltern ausgesetzt sind, steigt stetig. Am besten meldet man sein Kind im Mutterbauch für den Kindergarten an und weiß spätestens mit einem Jahr, wie die schulische Karriere aussehen soll. Auch die berufliche Weiterbildung oder die akademische Laufbahn können nicht früh genug thematisiert werden. Beim Versuch, alles richtig zu machen, werden oft die altersbedingten Entwicklungsstufen übersehen.
Dieser Druck sollte den Eltern und vor allen Dingen den Kindern genommen werden. Er manifestiert sich spätestens im Alter von neun Jahren. Denn mit zehn wird in Österreich selektiert. Aus den internationalen Erfahrungen wissen wir, dass das viel zu früh ist. Diese Grenze gehört um mindestens zwei Jahre nach hinten verschoben, besser vier. Und das zu ändern, ist kein Experiment. Sowohl in Korea, als auch in Skandinavien und in einigen Ländern Osteuropas ist dieser Schnitt verschoben. Hier handelt es sich um völlig unterschiedliche Bildungssysteme. Dennoch ist das Prinzip offenbar allgemeingültig.
Was die Kinder brauchen
Unsere Kinder benötigen eine geschützte Umgebung, in der sie lernen und Fehler machen können, denn das Leben bestraft sie früh genug. Sie brauchen ein pädagogisches Setting, das ihre Kreativität, ihre Problemlösungsfähigkeit und ihre sozialen Kompetenzen fördert. Sie interessieren sich nicht für Fächer, sondern für Themen. Wenn geprüft wird, ist das ein Übel, das sie in Kauf nehmen. Aber wenn sie Freude am Lernen haben, sind ihnen auch Prüfungen weitestgehend egal.
Sie wollen keine Angst vorm nächsten Schultag haben und tief durchatmen, wenn endlich die Ferien anstehen oder das rettende Wochenende vor der Tür steht. Sie wollen keine LehrerInnen, die zurecht mit sozialen Schieflagen überfordert sind und das Gefühl haben, sie wären mehr Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen als Lehrkräfte. Man könnte einmal darüber nachdenken, den LehrerInnen endlich die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie dringend benötigen.
Worüber sich die Politik nicht traut
Warum die Politik bei uns so zögerlich handelt, ist vielleicht in unserem starren System der Wahrung von Interessen begründet. Dass sich ein so kleines Land wie Österreich neun föderale Strukturen leistet, die in der Bildung ihr eigenes Süppchen kochen können (betrifft nur die Pflichtschulen, Anm.) wirkt einigermaßen grotesk. Kompetenzen an eine zentrale Struktur abzugeben, ist gleichbedeutend mit dem Verlust von Einfluss.
Dabei geht es gar nicht um die föderalen Interessen, sondern um jene der SchülerInnen. Auf die Autonomie der Schulen zu setzen, war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aber eben nicht mutig genug. Warum wird unser Bildungssystem nicht ständig hinterfragt, wie beispielsweise in Finnland? Warum wird dem pädagogischen Erfolg nicht alles untergeordnet?
Zeichen des Wandels
Ich glaube nicht, dass Eltern dieses Spiel noch lange mitspielen. Seit längerer Zeit ist der Trend zu pädagogischen Konzepten festzustellen, die außerhalb der gewohnten Strukturen operieren. Montessori oder Waldorf, um nur zwei Beispiele zu nennen, erfreuen sich steigender Beliebtheit. Meiner Einschätzung nach dürfte nicht mehr sehr viel Zeit verstreichen, bis die meisten Menschen begriffen haben, dass konservative Ansätze endgültig aus der Mode kommen. Vor einigen Tagen habe ich ein sehr treffendes Zitat von John Dewey gelesen: „If we teach today’s students as we taught yesterday’s, we rob them of tomorrow.“ Auch wir denken bei unserer Tochter außerhalb traditioneller pädagogischer Konzepte. Denn auch wir haben das Gefühl, dass es mehr geben muss, als das uns Bekannte und Bewährte …