Dass wir ein gespaltenes Verhältnis zur Europäischen Union haben, ist schon lange zu beobachten. Unsere VolksvertreterInnen nehmen hier eine sehr widersprüchliche Haltung ein, zumal sie über europäische Agenden abstimmen, aber auf nationalstaatlicher Ebene gewählt werden müssen. Was bisher unterschätzt blieb, ist die Rolle der Parteien, die zwar ein europäisches Pendant haben, aber unter einer strukturellen Identitätskrise leiden, wenn es um Europa geht.
Europäische Parteien sind keine
Gleich zur Erklärung vorweg muss festgehalten werden, dass die europäischen Parteien wenig mit dem zu tun haben, was wir auf nationalstaatlicher Ebene kennen. Sie besitzen zwar eine funktionierende bottom-up, aber keine top-down Struktur. Was meine ich damit? Neue MitgliederInnen und KandidatInnen können nur von den nationalstaatlichen Strukturen rekrutiert bzw. nominiert werden.
Weiters finden keine Parteitage statt und Individuen können europäischen Parteien nicht beitreten. Auch die Verteilung finanzieller Mittel unterliegt den Mitgliedsländern. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es sich bei den europäischen Pendants mehr um Dachverbände als um Parteien handelt, die sich in einer europäischen Parlamentskultur wiederfinden.
Die Einbettung in internationale Strukturen
Die österreichische Sozialdemokratie ist ebenso wie die Österreichische Volkspartei seit langer Zeit in der jeweiligen internationalen Struktur eingebunden. Im Falle der SPÖ geht diese Verbindung bis auf die Jahre des Ersten Weltkriegs zurück, als nach der russischen Revolution sozialdemokratische Parteien als Gegengewicht zum Kommunismus etabliert werden sollten. Klingende Namen wie Adler, Bauer, Braunthal, Deutsch und Renner spielten in der internationalen sozialdemokratischen ArbeiterInnenbewegung eine zentrale Rolle. (Pelinka, Anton: Europäisierung ohne Tiefenwirkung, in: Pfefferle/Schmidt/Valchars (Hg.): Europa als Prozess, Wien 2010)
Die ÖVP hat sich bald nach ihrer Gründung 1945 an die Europäische Union Christlicher Demokraten angenähert. In den 1970er Jahren bemühte sich die ÖVP, wie viele ihrer Schwesterparteien, um eine Annäherung christlich-demokratischer und konservativer Parteien. Diese Annäherung führte letztlich zur Vorstufe der heute bekannten Europäischen Volkspartei (Ebd.). Auch die Grünen sind in ihren internationalen Strukturen, im Gegensatz zur FPÖ, historisch vernetzt. Nachdem sich rechtspopulistische Parteien schwer mit einer europäischen Identität anfreunden können, ist ein Konflikt hier nachvollziehbar.
Die Entfremdung auf zwei Ebenen
In Österreich ist daher eine Entfremdung von Europa auf zwei Ebenen strukturell zu erklären. Einerseits besteht eine evidente Diskrepanz zwischen den europäischen Beschlüssen, die unsere VolksvertreterInnen fällen, und ihrer demokratischen Legitimation auf nationaler Ebene. Andererseits gibt es keine Parteistrukturen, die es BürgerInnen ermöglichen könnte, sich aktiv an einer europäischen Parteiinitiative, analog zu den nationalen Strukturen zu beteiligen. Es gibt also kein stringentes, europäisches Identitätsangebot für BürgerInnen aus parteipolitischer Sicht. Vielleicht kann das Demokratiedefizit auch auf der Ebene der Parteien behoben und nicht nur thematisiert werden …