In der Kindererziehung arbeiten wir oft mit Bildern, um das Verständnis für komplexe Sachverhalte zu schulen. Ich bemühe auch manchmal sehr bildliche Metaphern, um meinen Argumenten Nachdruck zu verleihen. Bei der Erziehung meiner Tochter ist das oft hilfreich. Aber es gibt Momente, in denen wir Erwachsene Bilder brauchen, um zu verstehen. Vor ein paar Tagen habe ich die World Press Photo-Ausstellung besucht und diese nachdenklich verlassen.
Lektion 1: Es geht uns gut!
Wenn ich Photos von fliehenden Menschen betrachte, die pure Angst in den Augen jener sehe, die ihre Familien retten wollen und ihre Babys durch die Trümmer ihrer Häuser tragen, werde ich daran erinnert, dass wir auf einer Insel der Seeligen leben. Natürlich haben auch wir Probleme. Aber global gesehen, haben wir keine Sorgen. Man könnte sogar argumentieren, dass es uns in vielen Bereichen auf Kosten Anderer gut geht. Und diese Menschen fliehen vor den lebensbedrohlichen Szenarien, die wir dankenswerterweise nicht nachvollziehen müssen.
Gewisse Situationen treffen mich heute, als Vater einer Tochter, wesentlich schwerer als früher. Wenn ich ein Bild sehe, in dem Menschen um den Tod ihrer Jüngsten trauern, oder Männer, die mit ihren Babys in Händen fliehen, könnte ich während meines Besuches der Ausstellung in Tränen ausbrechen. Im politischen Diskurs vergessen wir oft unsere privilegierte Lage. Wenn ich politische VertreterInnen höre, die während einer Diskussion behaupten, der Krieg in Syrien wäre vorbei und es bestünde kein Grund zur Flucht, ist mein Aggressionspotenzial erhöht.
Lektion 2: Helfen ist eine Pflicht, keine Option!
Wenn uns bewusst wird, dass es uns eigentlich gut geht, besteht die Pflicht zu helfen. Ich weiß schon, dass mich jetzt einige als Gutmenschen oder hoffnungslosen Idealisten bezeichnen werden, gibt es doch bei uns genügend Schieflagen, die korrigiert werden müssen. Aber ich weigere mich zu akzeptieren, dass wir in einem der reichsten Länder der Welt leben, es uns verhältnismäßig gut geht und wir gleichzeitig bei Kriegen anderswo und bei Armut in unseren Reihen zusehen.
Vor allem irritiert mich der politische Diskurs, den ich - ehrlich gestanden - nur noch peinlich finde. Sowohl auf nationaler, als auch auf europäischer Ebene. Denn man ist schnell dabei, auf Sozialmissbrauch, Zweckentfremdung von Geldmitteln und die Einmahnung der Verantwortung Anderer hinzuweisen, trägt aber selbst nichts zur Lösung der Lage bei. Egal, ob es die Visegrad-Staaten auf europäischer, der US-amerikanische Präsident auf internationaler oder PopulistInnen auf nationaler Ebene sind, die Entsolidarisierung der Menschen ist auf allen Ebenen zu beobachten. Auch und vor allem innerhalb der Gesellschaft.
Lektion 3: Bildung schafft die Basis
Die dritte Lektion wird regelmäßige LeserInnen meines Blogs wenig überraschen. In der Bildung geht es um die Schärfung der Sinne und des kritischen Denkens. Der Besuch von Museen und Ausstellungen kann dabei helfen, abstrakten Konzepten ein reales Bild zu geben. Überhaupt ist der Praxisbezug in der Bildung entscheidend. Und hier gibt es auch keine Altersunterschiede. Bei unseren Jüngsten geht es vor allem um die Schulung der Wahrnehmungsfähigkeit von Schieflagen.
Bei uns Erwachsenen steht die Beibehaltung eines offenen Geistes, der für Adaptierungen und Lehren zugänglich bleibt, im Zentrum. Die Bildung schafft nicht die Basis dafür, dass wir alle Gutmenschen und Weltverbesserer werden. Aber sie erinnert uns an unsere Sensibilität. Es ist legitim, dass Menschen verschiedene Lehren aus dem gleichen Sachverhalt ziehen. Aber die Basis bleibt eine fundierte Bildung
Manchmal brauche ich diesen Schock
Grundsätzlich halte ich mich für einen sozialkritischen Menschen, der nicht müde wird, gesellschaftliche Schieflagen aufzuzeigen und daran zu erinnern, dass die Veränderung einer Gesellschaft immer mit uns selbst beginnt. In einem früheren Artikel habe ich erzählt, wie meine Frau nächtens nach einem Restaurantbesuch einen schlafenden Obdachlosen mit einer Decke aus unserem Kinderwagen zugedeckt hat. Bei unseren politischen VertreterInnen habe ich manchmal das Gefühl, sie verneinen derartige Realitäten und Bilder.
Vielleicht handelt es sich hierbei um eine Art politischer Selbstschutz, um im Tagesgeschäft des WählerInnenfangs zu überleben. Ich habe diese Ausstellung verlassen und mich gefragt, ob bestimmte Menschen des öffentlichen Lebens Kenntnis von dieser, unbequemeren Realität haben. Manchmal wünsche ich mir einfach nur etwas weniger Ignoranz und eine achtsamere Wortwahl. Das wäre doch ein guter Beginn, oder … ?