Wieder beschäftigen mich Fragen der gelebten Toleranz. Was ist in ihrem Namen noch erlaubt und wann wird sie missbraucht? Auslöser dieses Artikels ist das Ergebnis der Bundestagswahl in unserem Nachbarland Deutschland. Ich wuchs mit der Überzeugung auf, dass in einer toleranten Gesellschaft die Freiheit des Individuums außer Frage steht. Doch wie verhalten wir uns, wenn die Intoleranz und der Extremismus zur drittstärksten Kraft werden?
Das ist der Dank
Etwas Ähnliches wird der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel durch den Kopf gegangen sein, als sie den Pyrrhussieg ihrer Fraktion zur Kenntnis nahm. Die deutschen Regierungsparteien sind abgestürzt und die rechtsextreme AfD stieg zur drittstärksten Kraft auf. Besonders stark schnitt sie dabei in den neuen Bundesländern ab, die ein soziales Déjà-vu erleben dürften. Sie fühlen sich an die Zeit der Wiedervereinigung Deutschlands erinnert und fürchten einen weiteren sozialen Abstieg durch mehr Migration.
Die Humanitäre Hilfe scheint offenbar enden wollend zu sein. Man fürchtet um die Futtertröge der Sozialleistungen und vertraut nicht mehr dem deutschen Wirtschaftsmotor, das alles zu bezahlen. Während der letzten Regierungsperiode in Deutschland wandelte sich die Mutti der Nation (Angela Merkel, Anm.) von der geschickten Machtpolitikerin zum menschlichen Antlitz Europas als sie sagte: „Wir schaffen das.“ Heute gilt dieser Satz unter ihren GegnerInnen als der Inbegriff des systemischen Versagens und der Missachtung nationaler Interessen.
Stellen wir die richtigen Fragen?
Es scheint, als fragen sich viele Menschen, wie viele MigrantInnen unser Land und unser Sozialsystem verträgt. Aber brennen nicht andere Themen unter den Fingernägeln? Wieso stellt sich niemand die Frage, wieso die Mieten im Vergleich zu den Löhnen explodieren? Warum gibt es eine Vertrauenskrise in unserem Bildungssystem, dass über 20 Prozent Jugendliche „produziert“, die nicht sinnerfassend lesen können? Wo ist das Jobangebot für Menschen über 50, die nur noch schwer im Arbeitsmarkt wieder Fuß fassen können?
Wenn Regierungen aus diesen Gründen abgewählt werden, könnte man das noch als BeobachterIn nachvollziehen. Doch geschürter Hass darf kein Grund sein. Lenken wir nicht mit den Fragen der Zuwanderung ab? Nicht, dass es auf diesem Sektor nicht Schieflagen gäbe. Aber in anderen Bereichen sind diese viel gravierender.
Wir sind das Stoppschild
An irgendeinem Punkt ist es die Aufgabe der Zivilgesellschaft, sich gegen die Salonfähigkeit des Rechtsextremismus zu stellen. Zwar wünsche ich mir oft, dass die politischen VertreterInnen der anderen Gesinnungen entschiedener gegen Extremismus auftreten, aber letztlich muss die Gesellschaft reagieren. In einer Demokratie geht nicht nur die Macht, sondern auch die Initiative vom Volk aus.
Dieser Zusammenhang wird oft verschwiegen. In meinem Einflussbereich trete ich entschieden gegen Extremismus und Intoleranz auf. Doch wenn politische Bewegungen mit Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit politisches Kleingeld schlagen, möchte ich der nachfolgenden Generation als Beispiel vorangehen und dieser Haltung gegenüber intolerant sein. Denn es gibt Grenzen, die eine moderne Gesellschaft einzuhalten hat. Diese wurden in Deutschland überschritten. Und auch in Österreich droht Ähnliches …