Diesen Artikel schreibe ich, weil ich schockiert ob des zwischenmenschlichen Umgangs bin. Vor ein paar Tagen wurde ich Zeuge einer hitzigen Auseinandersetzung auf der Straße. Das Ganze fand in der Nähe der größten Einkaufsstrasse Wiens statt. Ein Mann hielt nach 18 Uhr in einer Zone für Ladetätigkeit, damit seine Frau ihr neugeborenes Kind stillen konnte. Nicht ungewöhnlich, würde man zumindest meinen.
Was passiert ist
Damit seine Frau nicht auf offener Straße in der Kälte stillen musste, blieb ein Fahrer eines PKWs in einer für Ladetätigkeit vorgesehenen Parkzone stehen. Doch das Parkverbot gilt nur bis 18 Uhr und guten Gewissens hielt die Jungfamilie, damit das neugeborene Kind dort gestillt werden konnte. Plötzlich blieb ein Mann stehen und forderte den Fahrer auf, den Ort zu verlassen, nachdem es sich um eine Ladezone handelt. Der Lenker, offenbar stammt er aus der Balkanregion, verwies auf die Parkzeiten (6 bis 18 Uhr, Anm.) und sah sich logischerweise im Recht.
Daraufhin wurde der Passant rabiat und beschimpfte den Fahrer unflätig. Er, der Fahrer, solle nach Hause gehen, denn hier bräuchte ihn niemand. Die genauen Worte möchte ich an dieser Stelle nicht wiedergeben, aber ich war froh, dass meine Tochter nicht Ohrenzeugin dieser Auseinandersetzung wurde. Mit einem erneuten Hinweis auf die Parkzeiten beschimpfte letztlich der Fahrer den Passanten mit dem A-Wort. Die Situation drohte zu eskalieren. Erst, als die Frau des Fahrers ihr Handy zückte und die Polizei anrief, zog der Passant davon.
Kulturelle Errungenschaften hinterfragt?
Auch wenn dieser Vorfall als Einzelfall abgestempelt wird befürchte ich, dass ähnliche Situationen viel häufiger vorkommen, als wir glauben. Ein Philosoph meinte einst, dass der erste Mensch, der anstelle eines Speers Worte verwendete, die Zivilisation erfand. Heute dürfte diese Entwicklung wieder zurückgehen. Man droht offen mit Gewalt und verlernt gleichzeitig, zivilisiert Auseinandersetzungen zu führen. Noch schlimmer: Der Jugend wird eine Art der Auseinandersetzung vermittelt, die unserer Kultur unwürdig ist.
Als Elternteil frage ich mich, ob es zum Schutze meines Kindes manchmal nicht besser wäre, auf die gewohnte Zivilcourage zu verzichten. Eigentlich möchte ich das weder in meinem Wirken noch in meiner Erziehung. Ich halte die Zivilcourage für ein wichtiges Gut, aber nachdenklich macht mich diese Situation schon. Denn der Passant wurde offenbar nur aufgehalten, Gewalt anzuwenden, weil mehrere BeobachterInnen, darunter auch ich, stehen geblieben sind und die Frau des Fahrers die Polizei rief.
Gemeinsames vor Trennendes
In Zeiten des politischen Aufbruchs - Wahlkampfzeiten werden gemeinhin als solche verstanden - wird zu selten die Frage gestellt, wie wir miteinander in einer fortschrittlichen Gesellschaft leben wollen. Tugenden wie Ehrlichkeit, Geradlinigkeit und Respekt sollten Bedingungen der zwischenmenschlichen Kommunikation sein. So lehren wir es zumindest unseren Kindern und dieses Bild sollte auch großteils in den Schulen dieses Landes vermittelt werden. Es wäre von den politischen VertreterInnen fatal, darauf nicht zu reagieren. Vielleicht ist das idealistisch, aber ich wähle meine politische Vertretung nicht nur nach den Interessen, die ich umgesetzt sehen möchte. Ich möchte für meine Familie und mich ein gesellschaftliches Klima der gegenseitigen Wertschätzung sehen. Vielleicht lernen wir dann, zivilisiert miteinander zu kommunizieren …