Nein, ich bin nicht politikverdrossen. Ich bin stilverdrossen. Der Eine behauptet etwas, der Andere klagt. Als Neo-ÖVP-Chef Kurz eine nicht nachvollziehbare Spende des Industriellen Hans Peter Haselsteiner von 100.000 Euro an die SPÖ im Sommergespräch mit dem ORF in den Raum stellte, war das Dirty-Campaigning spätestens zu diesem Zeitpunkt eröffnet. Neu ist diese Taktik nicht. Den oft beschworenen neuen politischen Stil untergraben solche Aussagen auch. Ist es nicht der Stil des Populismus, etwas nicht Belegbares zu behaupten und bis man sich entschuldigen muss, glauben es bereits viele WählerInnen?
Ich gehe gar nicht mehr darauf ein
Zwischen Meinungen und Fakten und Behauptungen und Beweisen liegen oft Welten. Den SchülerInnen versuchen wir, digitale Kompetenzen zu vermitteln. Sie sollen im Gewirr digitaler Informationen den Wahrheitsgehalt von Aussagen prüfen können. Deswegen handelt es sich bei dieser Kompetenz um eine demokratiepolitisch so wichtige.
Der Stil erschreckt mich
In der Erziehung meiner Tochter versuche ich das zu vermitteln, wonach meine Frau und ich leben. Grundsätzlich wird jede/r so behandelt, wie wir uns wünschen, behandelt zu werden. Natürlich gibt es Spannungen mit manchen Mitmenschen. Aber auch dann versucht man, fair zu bleiben. Wenn mit Untergriffen gearbeitet wird, erinnert mich das eher an meine Schulzeit, als die Diskreditierung mancher MitschülerInnen fast schon systemischen Charakter hatte.
Heute würde man Bullying oder Mobbing dazu sagen. Genauso stellen sich für mich manche politischen VertreterInnen dar. Um das Ganze hochgestochen zu rechtfertigen, sagt man NLP dazu. Es fängt schon damit an, dass bei Diskussionen das Gegenüber lächelnd erniedrigt wird. Der Subtext: „Dich kann man sowieso nicht ernst nehmen.“ Das sind keine Haltungen, die ich in der Erziehung vermitteln möchte. Denn das sind genau jene Haltungen und Taktiken, die mir sauer aufstoßen und bei mir zu Brechreiz führen.
Im Kindergarten oder in der Schule wird so ein Verhalten mit Konsequenzen belegt, wenn es auffällt. Doch wir wählen PolitikerInnen mit diese Haltung. Ist das nicht grotesk? Dass die Prinzipien eines zwischenmenschlich achtsamen Umgangs ignoriert werden, erschreckt mich zutiefst und spottet unseren kulturellen Errungenschaften.
Eine Frage des Stils, nicht der Inhalte
Wenn ich verdrossen ob der politischen VertreterInnen bin, dann nicht, weil gefühlt wenig Veränderung stattfindet. Unsere Gesellschaft ist so diversifiziert, dass Inhalte, die alle zufrieden stellen, schwer zu finden sein dürften. Doch der Umgang miteinander kann trotzdem fair sein. Wenn meine Meinung gering über jemanden ist, weiß das die betroffene Person im Normalfall. Aber das heißt nicht, dass ich sie nicht menschlich fair und respektvoll behandle.
In politischen Auseinandersetzungen fliegen oft die Fetzen. Aber man kann anderer Meinung sein und trotzdem niemanden persönlich angreifen. Diese Kritik richtet sich an alle PolitikerInnen. Doch wenn die Argumente in einer sachlichen Diskussion ausgehen, wird oft auf einer persönlichen Ebene mit Untergriffen gearbeitet. Und genau dieser Stil verdrießt mich. Ich lese nicht umsonst so gerne politische Programme, weil diese Taktiken hier keinen Einfluss haben können. Daher habe ich auch stets argumentiert, dass spätestens bei der Listenbekanntgabe für die nächste Wahl das jeweilige Wahlprogramm der wahlwerbenden Liste vorliegen muss. Dann kann ich als Zuhörer persönliche Untergriffe besser ausblenden …