Eigentlich geht es uns gut. Wir fürchten nicht um unser Leben und sind materiell besser aufgestellt als die BürgerInnen der meisten Länder um uns herum. Trotzdem gibt es auch bei uns erhebliche Schieflagen, die zu reparieren systemische Eingriffe bedürfen. Die Stichwörter „Umverteilung“ und „Verteilungsgerechtigkeit“ prägen nicht zufällig seit einiger Zeit den öffentlichen Diskurs. Meiner Auffassung nach geht es hier vor allem darum, dass jede/r einen fairen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung leistet.
Leistung honorieren
Ein kleines Geständnis gleich zu Beginn: Ich bin wahrlich kein Kommunist. Wenn jemand mehr leistet, soll sie/er auch mehr davon haben. Niemand mit intakter Logik würde das verneinen. Und das Steuersystem ist zwar auf einen Sozialstaat ausgelegt, aber an sich fair und würde das in der Theorie abdecken. Probleme treten auf, wenn sich bestimmte MitgliederInnen aus ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft verabschieden.
Zum Beispiel Konzerne, die ihre Steuerlast mehr als vermeiden. Nicht nur die „Großen“ wie Starbucks, Amazon, Google oder Apple. Auch in Österreich selbst gibt es sicher ein paar schwarze Schafe. Die entgangenen Steuereinnahmen fehlen in der Krankenversorgung, der Bildung und für eine echte Entlastung des sogenannten Mittelstandes. Doch anstatt effektive Strategien auszuarbeiten, wie die sogenannten „Großen“ zur Kasse gebeten werden können, wird bei den Selbstständigen, egal welcher Größe, angesetzt.
Der Weg des geringsten Widerstandes
Beispielsweise wurde der Gewinnfreibetrag für die Selbstständigen deutlich reduziert. Für all jene, die in einem Angestellten-Verhältnis beschäftigt sind, ist der Vergleich zum Urlaubsgeld treffend. Dieses ist steuerlich begünstigt. Selbstständige haben kein Urlaubsgeld, sondern nur einen Einnahmen-Entfall, wenn sie Urlaub machen. Der Gewinnfreibetrag kompensiert das etwas und soll das Equivalent zum Urlaubs- und Weihnachtsgeld sein. Doch er wurde fast gestrichen. Würde den AngestelltInnen erklärt werden, es gäbe kein Urlaubsgeld mehr, gäbe es zu Recht Proteste.
Doch ich jammere nicht. Wenn der soziale Frieden durch diese Maßnahme gesichert wird, trage ich gerne meinen Teil dazu bei. Das sollte jede/r und genau das ist der Punkt. Ich wohne in der Nähe der größten Einkaufsstrasse und erlebe, wie die ganzen kleinen Läden zu kämpfen haben. Aus Angst vor den Lohnnebenkosten ist man bei der Anstellung von Personal zurückhaltend. Damit ist es schwieriger, dass jede/r seinen Beitrag leistet.
Falsche Finanzierung?
Unser Sozialsystem ruht noch auf den Einnahmen aus der Erwerbsarbeit (bestenfalls aus einer Vollzeit-Anstellung, Anm.). Deswegen ist der Faktor Arbeit so hoch besteuert. Wenn aber immer mehr „neue“ Selbstständige den Arbeitsmarkt fluten und die Generation Praktika nicht jene Abgaben leisten kann wie ihre vollbeschäftigte Vorgängergeneration, entsteht ein strukturelles Loch, das über kurz oder lang in Altersarmut endet, weil die Beiträge fehlen. Und sozial ist das sicher nicht.
Errungenschaften der freien Bildung könnten ebenso hinterfragt werden, wie die gesicherte Altersvorsorge und die gut ausgebaute medizinische Versorgung. Die Pensionen wären sicher, wenn alle ihre Beträge in die gleiche Altersvorsorge zahlen würden. Das Volumen kann abhängig vom Bruttosozialprodukt mal weniger und mal mehr, aber nie weg sein. Doch auch hier wird nur auf die Erwerbsarbeit fokussiert.
Systemische Umverteilung
Bisher wurde die Umverteilung nur als ein Konzept der Vermögensaufteilung verstanden. Doch vielleicht könnten wir Umverteilung auch derart verstehen, dass wir die Einnahmenstruktur des Staates neu denken müssen. Demnach wäre das Vermögen, das im vergangenen Jahr angewachsen ist, gleich oder höher im Vergleich zur Erwerbsarbeit zu versteuern.
Vielleicht könnte auf diesem Wege der Faktor Arbeit deutlich entlastet werden und Unternehmen hätten weniger Vorbehalte, neue MitarbeiterInnen einzustellen. Nicht umsonst wird unter SteuerexpertInnen stets von einer „Steuer-Strukturreform“ gesprochen. Dass derartige Konzepte nicht ernsthaft diskutiert werden, ist für mich nicht nachvollziehbar. Aber vielleicht bin ich da zu idealistisch.
Diskussion notwendig
Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet und vielleicht ist mein Vorschlag zu sehr an eine Milchmädchenrechnung angelehnt. Für mich ist es eine Form der politischen Glaubwürdigkeit. Wahre Bewegungen diskutieren verschiedene Konzepte ohne Vorbehalte und trachten weniger danach, ihre jeweiligen Sponsoren und Interessenvertretungen zufrieden zu stellen. Auch hier handelt es sich um ein systemisches Problem, das beinahe alle politischen Parteien umfasst. Bevor also das Blaue vom Himmel versprochen wird, könnten ernsthafte Konzepte der Erneuerung, die längst notwendig sind, diskutiert werden …