Die Bildung hat stets die gesellschaftlichen Entwicklungen geprägt. Sie war am Prozess der Demokratisierung nicht unbeteiligt und hat in Zeiten totalitärer Regime den Keim des Widerstands gesät. Natürlich wurde sie auch von fehlgeleiteten MachthaberInnen missbraucht, um die Jugend zu indoktrinieren. Doch letztlich ist es die Aufgabe der Bildung, die kritische Auseinandersetzung zu suchen und den Status quo zu hinterfragen. Heute ist das fast notwendiger denn je.
Gesellschaft als Herausforderung
Ich habe das Glück, meiner Tochter eine diversifizierte Gesellschaft näherzubringen und versuche hierbei, meine nicht unerhebliche Verantwortung wahrzunehmen. Die Vielfalt unserer Gesellschaft kann nur als Stärke verstanden werden. Doch dafür ist es notwendig, dass die Erwachsenen von morgen nicht von Ängsten getrieben sind, sondern Potenziale erkennen. Gerade heute stehen wir an einer Wegkreuzung der Geschichte. Die Frage ist nur, welchen Weg wir einschlagen.
Terrorangriffe, Migrationsbewegungen und der alte Ruf nach Abschottung - fast wie in eine Dose - dominieren den Diskurs. Es werden alte Rezepte gesucht, um neuen Herausforderungen zu begegnen. Laufen die Dinge schief, werden Sündenböcke gesucht. Dieses Muster zieht sich durch die gesamte Geschichte, von den ersten Hochkulturen bis heute. Die dabei zurückgelassene Spur der gesellschaftlichen Verwüstung hinterlässt Brotkrumen, aus denen wir lernen könnten.
Die Jugend von heute begreift aufgrund der virtuellen Vernetzung wesentlich einfacher, dass das Schwinden nationaler Grenzen die Realität des Alltags ist. Die Lösung von globalen Herausforderungen liegt in der Kooperation miteinander. Sei es der Klimawandel, sei es der Terror oder sei es die Ermahnung, die Geschichte als steten Auftrag zum Hinterfragen gegenwärtiger Entwicklungen. Die Jugend von heute hat den entscheidenden Vorteil, sich schnell und einfach zu vernetzen und diesen Umstand als „normal“ zu bezeichnen. Bringt man ihr die Verantwortung, die sie trägt, früh näher, werden leichter Lösungen gefunden.
Kommunikation als Herausforderung
Ein weiterer Aspekt ist die veränderte Kommunikation. Sie findet nicht mehr nur zeitgleich und auf einer persönlichen Ebene statt. Die Zeiten, in denen das direkte Gespräch, das Telefonat und der Briefwechsel die einzigen Optionen waren, sind vorbei. Mittlerweile kommunizieren wir auf verschiedenen Ebenen, in verschiedenen Geschwindigkeiten und auf verschiedenen Plattformen. Doch der respektvolle Umgang sollte bleiben.
„Nur, weil wir auf anderen Ebenen kommunizieren, bedeutet das nicht, dass wir alles bisher Gelernte über Board werfen müssen.“
Die Herausforderung ist, die Jugend auf diese veränderte Kommunikationsstruktur vorzubereiten und dennoch die Prinzipien des Anstands, des Respekts und der gegenseitigen Wertschätzung zu achten. Nur, weil wir auf anderen Ebenen kommunizieren, bedeutet das nicht, dass wir alles bisher Gelernte über Board werfen müssen. Als Blogger erlebe ich jeden Tag, wie neue Medien die Hemmschwelle verschwinden lassen. Doch die Grenze der gegenseitigen Achtung wird nicht von einem Medium diktiert, sondern in der Erziehung vermittelt und vorgelebt.
Werte als Herausforderung
Letztlich bringt mich das zur größten Herausforderung der modernen Bildung. Das ist ebenso schwer wie unklar in der Ausführung. Faktenwissen ändert sich schneller, als da jede Lehrkraft mitkäme. Das kollektive Wissen ist in Form des Internets längst Realität geworden. Was sich jedoch nicht ändert, sind essenzielle Grundwerte, auf denen die moderne Gesellschaft fußt. Achtsamkeit, Gleichheit der Geschlechter, Respekt, Toleranz, Solidarität und eine demokratische Grundhaltung.
Werte-Kurse stoßen hier an ihre zeitlichen Grenzen. Denn die Vermittlung von Werten ist ein langwieriger Prozess, der im schulischen Alltag gelebt werden muss. Wenn dieser Prozess im Alltag Standard wird, besteht die Chance, dass diese Werte auch später ein Teil unserer Kultur werden. Und dieser Umstand muss von jedem Individuum neu erfahren werden. Denn nur Menschen, die diese Haltung leben, erhalten die Kultur des gepflegten Miteinanders.
Viel zu tun
Jeder/m von Ihnen wird mindestens zu einem Aspekt etwas einfallen. Ich sehe mir das Bildungssystem und die gesellschaftlichen Herausforderungen an und befinde, dass in vielen Bereichen stichhaltige Konzepte fehlen. Vermutlich wäre das Teil einer Zukunftsvision, wo wir als Gesellschaft hinwollen. Darüber sollte diskutiert werden. Die Zeiten der Symptom-Bekämpfung und der Reparatur des Status Quo sind vorbei. Wenn wir unseren Kindern keine Vision anbieten können, werden sie orientierungslos durch die Weltgeschichte wandern und sich von allen möglichen Einflüssen irritieren lassen ...