Vor zwei Nächten habe ich auf 3-Sat zufällig die Nachrichten aus der Schweiz gesehen. Es war nach 2 Uhr morgens und was ich sah, ließ mich nicht schlafen. Ich wurde an eine politisch schwierige Zeit erinnert, die sich wiederholen könnte. Die Schweiz, den meisten von ihnen nicht gerade als sozialistischer Modellstaat ein Begriff, sieht Österreich innerhalb Europas nach - Zitat - „weit rechts außen“ driften. Stein des Anstoßes waren die letzten Umfragen.
Déjà vu?
Als die ÖVP-FPÖ-Regierung im Jahr 2000 ihre Amtsgeschäfte aufnahm, war ich noch Schüler und musste mich während eines Austausches mit belgischen SchülerInnen rechtfertigen, warum wir politisch so „rechts“ eingestellt sind. Während meiner Studienzeit wenig später - die ersten Maßnahmen waren bereits spürbar - war die Demonstration am Donnerstag fast ein Fixpunkt der Woche. Mit der Besetzung des Universitätssenats fanden die Proteste meiner Generation ihren Höhepunkt.
Natürlich haben mich diese Jahre geprägt. Zu behaupten, dem wäre nicht so, ist gelogen. Aber meine Haltung ist keine reflexartig linke, sondern eine kritisch sachorientierte. Deswegen bereitet mir Populismus (von links oder rechts) tatsächlich Magenschmerzen. Zu hören, Österreich würde sich nach rechts außen bewegen, stimmt mich nachdenklich.
Die Isolation kennen wir
Mit der politischen Isolation habe ich meine Erfahrungen gemacht. In der Bildungspolitik wurde Österreich in dieser Zeit die Kompetenz, fortschrittlich im Rahmen verschiedener EU-Projekte zu denken, abgesprochen und es bedurfte vieler persönlicher Kontakte meines ersten großen Mentors, die europäischen KollegInnen vom Gegenteil zu überzeugen. Zwischen 2000 und 2006 wurden auch die Bewerbungen von ÖsterreicherInnen in internationalen NGOs - um es vorsichtig zu formulieren - nachrangig behandelt.
Doch isoliert haben wir auch die nachfolgenden Generationen, die unter den Investitionsbremsen aufgrund der angespannten Budgetsituation zu leiden haben. Allein, was in der Bildung mit den Mitteln, die in die Hypo Alpe Adria geflossen sind, möglich gewesen wäre. Wohin führen uns die aktuellen Entwicklungen?
Wir bekommen, wen wir verdienen
Ich bin ein großer Fan der Demokratie. Bisher wurde einfach nichts Besseres gefunden. Wie die WählerInnen entscheiden, so werden sie regiert. Und wenn sie die Unfähigkeit mancher VolksvertreterInnen anprangern, muss auch fairerweise entgegengehalten werden, dass diese Unfähigkeit zuvor gewählt wurde. Oder wie es der österreichische Kabarettist Alfred Dorfer einst so treffend formulierte: „Demokratie ist die Herrschaft der Unfähigen über die Desinteressierten.“
Genau dieses Desinteresse verhindert oft einen genaueren Blick hinter die Fassade mancher BlenderInnen. Personen werden wichtiger als Inhalte und Inhalte werden durch Schlagzeilen ersetzt. Und diese Tendenz ist nicht einer politischen Richtung alleine zuzuordnen. Es handelt sich um eine Systemkrise unserer Zeit. Politische Parteien verfallen in Aktionismus und ihre VertreterInnen denken in den Schlagzeilen des nächsten Tages.
Ein systemisches Problem
Egal, welcher politischen Richtung man sich zugehörig fühlt, ein zweiter Blick hinter die Fassade der VolksvertreterInnen und ihrer Standpunkte lohnt in den meisten Fällen, zumal sich erhebliche Widersprüche allerorts finden lassen. Zwar ist das in der heutigen Zeit der Informationshäppchen schwieriger geworden, dafür aber umso wichtiger. Das Schöne an der Demokratie ist, dass wir nicht alle einer Meinung sein müssen. Im Gegenteil! Unsere möglicherweise konträren Meinungen werden im Parlament repräsentiert. Deswegen heißt es „Nationalratswahl“ und nicht „Regierungs- und Bundeskanzlerwahl“.
Politik ist die Herbeiführung kollektiv verbindlicher Entscheidungen. Liegen die Haltungen weit auseinander, werden nur Minimalkompromisse geschlossen. Das Problem sind oft nicht unfähige PolitikerInnen, sondern die multiplen Meinungen, die sie qua ihres demokratischen Mandates vertreten müssen. Und wenn sich Koalitionsmöglichkeiten weit rechts der Mitte ergeben sollten, müssen wir uns wieder allerhand Vorurteile gefallen lassen. Ich bin der Meinung, dass wir als Gesellschaft mehr können, als die gleichen Fehler wie vor 17 Jahren zu begehen. Aber meine Hoffnung, dass sachorientiertes Arbeiten in der Politik Einzug hält, ist vermutlich nur eine idealistische Träumerei …