Gestern bin ich zufällig über eine Meldung in „Zeit Online“ gestolpert. Das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wurde angerufen, den Numerus Clausus auf seine Vereinbarkeit mit dem deutschen Grundgesetz zu überprüfen. In den 1970er Jahren als Zugangsregelung für die deutschen Hochschulen entwickelt, stellt sich heute die Frage, ob dieser noch zeitgemäß und im europäischen Geflecht sinnvoll ist.
Was ist der Numerus Clausus
Letztlich handelt es sich beim Numerus Clausus um ein Quotensystem, das den Hochschulzugang für AbiturentInnen regelt. Ein Fünftel von ihnen wird nach dem Notenschnitt des Abiturs (deutsche Matura, Anm.) zugelassen, ein weiteres Fünftel kommt auf die Warteliste und der Rest durchläuft ein eigenes Auswahlverfahren an der jeweiligen Hochschule. In der Praxis bedeutet das, je besser die Noten sind, desto größer ist die Chance, das Wunschstudium zu wählen. Gerade bei den Studien der Humanmedizin, Tiermedizin, Zahnmedizin, Psychologie und der Pharmazie findet der Numerus Clausus Anwendung.
Strukturelle Ausbildungsmigration
Aktuell beträgt die Wartezeit laut „Zeit Online“ für das Studium der Medizin 15 Semester. Im Jahr 2014/15 standen 9.000 Studienplätze für 43.000 BewerberInnen bereit. Dass es hier zu Wartezeiten kommt, ist nachvollziehbar. Jede/r kann auch eine Numerus-Clausus-Flucht nach Österreich verstehen, um hier das Wunschstudium zu ergreifen. Die volkswirtschaftliche Problematik entsteht in Wahrheit erst nach dem Abschluss.
Nachdem es in Deutschland keinen Turnus nach dem österreichischen Modell gibt, wandern viele ÖsterreicherInnen nach ihrem Medizinstudium nach Deutschland aus. Zusätzlich kehren wieder jene deutsche BürgerInnen zurück, die in Österreich studiert haben. Und während hierzulande ein Mangel an Ärztinnen und Ärzten prognostiziert wird, fluten AbsolventInnen den deutsche Markt, nachdem zuvor die österreichischen Universitäten überrannt wurden.
Eine Frage des fairen Zugangs
Eines gleich vorweg: Definitive Antworten, wie diesem Dilemma begegnet werden kann, biete ich leider nicht an, allerdings mache ich mir meine Gedanken. Deutschland hat mit dem Numerus Clausus seit Jahrzehnten ein System, an das sich die Studierenden gewöhnt haben. Allerdings ist im 12. Artikel des deutschen Grundgesetzes (GG) festgehalten: „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.“
Das Verwaltungsgericht in Nordrhein-Westfalen sieht den Numerus Clausus im Widerspruch zu Artikel 12 des Grundgesetzes. Das Grundgesetz wird allerdings in der Praxis relativiert, wenn die Zahl der BewerberInnen das Angebot an Studienplätzen übersteigt. Letztlich bedeutet das eine Intransparenz. Denn theoretisch kann nicht gesagt werden, ob die Zahl der BewerberInnen das Angebot übersteigt, bis alle Anmeldungen vorliegen.
Die Herausforderung
Das Problem im Zusammenhang mit dem Numerus Clausus ist, dass grundsätzlich nicht der Notenschnitt über die fixe Vergabe eines Studienplatzes entscheidet - nur über die Zulassung zum Studium. Denn nur das beste Fünftel hat einen garantierten Studienplatz. Dann wäre da noch die Einbettung in die Europäische Union. Grundsätzlich darf es keine Diskriminierung aufgrund des europäischen Herkunftslandes bei nationalen Regelungen geben.
Doch wenn die Regelung eines Landes ein anderes strukturell unter Druck setzt, ist das bestimmt nicht im europäischen Geiste. Außerdem hat der Numerus Clausus evidente Schwächen in Bezug auf die Vergleichbarkeit. Denn an manchen Schulen ist es leichter, gute Noten zu erhalten, als an anderen. Das spräche eigentlich dafür, dass jede Universität gesonderte Aufnahmeprüfungen durchführt, was die Bedeutung des Abiturs/der Matura schmälern würde …