Beim Verfassen dieser Zeilen stockt mir der Atem. Die Folgen des wärmeren Klimas sind bei uns Unwohlsein, lautes Schnaufen und Klimaanlagen im Hochbetrieb. In anderen Weltregionen ist es der Hunger infolge der herrschenden Dürre. Wenn ich mir die Zahlen ansehe, wird mir wieder vor Augen geführt, in welch privilegierter Situation wir sind. Allein in Afrika hungern über 232 Millionen Menschen. Die EU hat um die 500 Millionen EinwohnerInnen. Das ändert das Narrativ nachhaltig.
Die Zahlen
Weltweit hungern 795 Millionen Menschen, 232,5 Millionen davon in Afrika (http://de.wfp.org/hunger-afrika). Gerade in Gegenden, die massiv vom Klimawandel betroffen sind, dürfte die Zahl der an Hunger leidenden Menschen massiv steigen. Die Böden sind nicht mehr fruchtbar und der fehlende Niederschlag führt zu langen Dürreperioden. Der Anteil an hungernden Menschen ist in Afrika mit 20 Prozent an der Gesamtbevölkerung am höchsten.
Wenn wir bedenken, dass südlich der Sahara 45 - 50 Prozent der Bevölkerung Afrikas unterhalb der Armutsgrenze leben, wird uns klar, warum diese Region zur ärmsten der Welt zählt. Mittel, um die Lebensumstände zu verbessern, stehen nicht zur Verfügung. Betroffen macht mich, dass in Afrika 30 Prozent der Kinder an Hunger und Unter- bzw. Mangelernährung leiden. Tragbar ist dieser Zustand schon lange nicht mehr.
Krankheiten als Folge der Armut
Mit den Krankheiten verhält es sich ähnlich. In unseren Breitengraden diskutieren wir darüber, welches Smartphone wir als nächstes anschaffen oder welche Geräte unser Leben einfacher machen. Im Bildungssystem prangere ich an, dass die Digitalisierung endlich in der Schule ankommen sollte, damit die SchülerInnen fit an der modernen Gesellschaft teilhaben können. Und obwohl ich hinter jeder dieser Forderungen stehe, gibt es auch ganz andere Voraussetzungen, die wir nicht vergessen dürfen.
Zum Beispiel wenn die Armut so groß ist, dass kein Bleistift angeschafft werden kann. Oder, wenn aufgrund der Hungersnot viele schulpflichtige Kinder niemals von ihrer Bildung profitieren werden können. Armut bedeutet, dass Menschen hungern müssen, geringe hygienische Standards haben und krank werden. In vielen Ländern werden sie durch die herrschenden Bürgerkriege auch noch an Leib und Leben bedroht. In Westeuropa, in unseren sauberen Häusern und Wohnungen, bekommen wir davon nichts mit.
Unsere Kinder müssen das hoffentlich nie mitmachen. Wir haben die Möglichkeiten, ihnen entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen, damit sie ihrer Bildung nachkommen können und durch das Essen am Tisch satt werden. Und doch ist es diese Ohnmacht, die ich verspüre. Ich weiß um diese Umstände und möchte meinen Beitrag zur Verbesserung der Situation leisten. Wenn ich mir vorstelle, dass Kinder im Alter meiner Tochter hungern müssen, wird mir schlecht.
Verantwortung hat nichts mit „Gutmenschsein“ zu tun
Verpflichtet mich nicht das Wissen um Missstände, im Rahmen meiner Möglichkeiten etwas beizutragen? Unreflektierte Menschen würden mich sofort als Gutmensch abstempeln, obwohl das damit nichts zu tun hat. Natürlich haben wir wegen der Hungersnot in Afrika gespendet. Aber damit hört der Beitrag aus meiner Sicht nicht auf. Es liegt in unserer Verantwortung, unsere Kinder im Bewusstsein um soziale Missstände zu erziehen. Es liegt an uns, manche unserer Mitmenschen wachzurütteln und Verantwortung wahrzunehmen.
Aber was können wir schon tun? Eine ganze Menge! Es fängt tatsächlich an den Kassen der Supermärkte und Kleidergeschäfte an. Wenn Dürreperioden herrschen, hätte ich ein noch schlechteres Gewissen dabei, Avocados, die 1.000 Liter Wasser pro Kilogramm bis zur Ernte benötigen, zu kaufen. Ich möchte keine Firmen unterstützen, die sich die Armut dieser Länder zu Nutze machen, um ihre Produkte günstig zu produzieren. Und ich wähle im Rahmen meines demokratischen Rechts keine PolitikerInnen, die diese Zusammenhänge nicht verstehen oder thematisieren.
Der Gipfel dieser Unreflektiertheit sind prominente PolitikerInnen, die den Klimawandel als Nebenschauplatz der Weltgeschichte abstempeln. Aufgrund des Klimawandels werden sich die Lebensumstände verändern, sich die Hungersnöte ausweiten und die Menschen zur Flucht animiert werden. Seit Jahrzehnten weisen namhafte KlimaforscherInnen auf diese Zusammenhänge hin. Jetzt, wo wir am Beginn einer gesellschaftlichen Veränderung stehen - manche sagen auch Völkerwanderung dazu - tun wir überrascht. Wenn ich mir vor Augen führe, dass Österreichs Beitrag zum World Food Programme der Vereinten Nationen etwas über 6,5 Millionen Euro pro Jahr beträgt (Deutschland leistet das Hundertvierzigfache), sollten wir gerade hierzulande unsere globale Verantwortung überdenken.
Wenn Verantwortung breiter verstanden wird
Mir fehlen entsprechende Antworten. In meiner Ratlosigkeit verstehe ich nicht, wie wir unsere Verantwortung negieren können. Die Beiträge zur Entwicklungshilfe und zum World Food Programme sind weit unter den österreichischen Möglichkeiten und Verpflichtungen. In meinem kleinen Einflussbereich ändere ich mein Verhalten, mache meine Mitmenschen auf diese Problematik aufmerksam, veröffentliche dazu mehrere Beiträge und schärfe das Bewusstsein dafür bei meiner Tochter, wenn sie jenes Alter erreicht, um diese Zusammenhänge zu verstehen.
Schließen sich mehrere Menschen an, erfolgt vielleicht ein Prozess des Umdenkens. Aber ich baue nicht darauf. Ich blicke mich um und sehe noch dickere Autos auf den Straßen, noch tollere Smartphones mit denen telefoniert wird und noch mehr jener Kleinigkeiten, die wir eigentlich nicht brauchen. Während all dem, leiden weiter 795 Millionen Menschen an Hunger. Etwas, was wir uns dankenswerterweise nicht mehr vorstellen müssen …