Neo-ÖVP-Chef Sebastian Kurz ist dafür, die islamischen Kindergärten in Wien zu schließen. Eine religiös abgeschottete Erziehung fördere die Bildung von Parallelgesellschaften, die für die Integration hinderlich sind. Bei genauerem Hinhören entlarvt sich jene Doppelmoral, die er schon während der Debatte um das Kopftuch an den Tag gelegt hat.
Muttersprachliche Förderung
SprachwissenschafterInnen sind sich darüber einig, dass die Beherrschung der Muttersprache für den schulischen Erfolg zentral ist. In Österreich stehen wir vor der Herausforderung, dass unter den MitgliederInnen der Migrantinnen und Migranten der zweiten und dritten Generation die muttersprachliche Kompetenz nicht mehr in der notwendigen Form besteht. In der vorschulischen Erziehung soll diese wieder gefördert werden. Daher ist in der Diskussion streng zwischen der Förderung der sprachlichen Kompetenzen und den vermittelten Glaubenssätzen zu unterscheiden.
Sich nur auf den Islam als Religion „einzuschießen“, verstößt eigentlich gegen den verfassungsmäßigen Gleichheitsgrundsatz und wirkt eher wie plumper Populismus. Das sollten sich auch die führenden Personen in der ÖVP vor Augen führen. Wenn die Integration über die Sprache gelingen soll, ist es notwendig, gute muttersprachliche Kompetenzen zu vermitteln. Oder haben Sie schon einmal einen Franzosen (um 9 Millionen Muslime leben in Frankreich, Anm.) erlebt, der bei uns nicht zu integrieren wäre?
Ist Kurz gegen die Pluralität?
Für Sebastian Kurz und die „neue“ ÖVP ist die kulturelle und religiöse Vielfalt offenbar für die gesellschaftliche Entwicklung hierzulande hinderlich. Am besten wäre es, alle wären römisch-katholisch, ethnische EuropäerInnen und würden die ÖVP wählen. Sind wir nicht der Europäischen Union beigetreten, um zu wachsen und zusammenzufinden?
Existiert nicht ein reger Handel österreichische Firmen mit Unternehmen aus dem arabischen Raum? Fanden nicht die Gespräche zur Annäherung zwischen den USA und dem Iran auf österreichischem Boden statt? Wenn Kurz an die Abschottung eines Landes glaubt, soll er das offen sagen und nicht so tun, als gäbe es auf dieser Welt nur eine Leitkultur.
Doppelmoral schon in der Kopftuch-Debatte
Bereits während der Debatte um das Tragen religiöser Symbole in der Öffentlichkeit, verleiht der Integrationsminister - das ist er eigentlich - seinen Wortmeldungen einen heuchlerischen Anstrich. Das Kopftuch soll in öffentlichen Ämtern verboten werden während das Kreuz bleiben darf. In diesem Zusammenhang fällt mir der Autor Christopher Hitchens ein („Der Herr ist kein Hirte“, Anm.), der in seinem Buch bei jeder Religion Widersprüche, die mit einer modernen Gesellschaft unvereinbar sind, findet.
Ich bin der Meinung, dass die religiösen Glaubenssätze aus der Bildung verbannt gehören. Bildungseinrichtungen von Glaubenskongregationen unterstelle ich eine subjektive Wahrnehmung der Ethik. Religionen gehören im Rahmen eines neutralen Ethikunterrichts gleichbehandelt hinterfragt. Wenn es gelingt, sich allen Religionen auf einer Ebene zu nähern, vermitteln wir unseren Kindern eine kritische Auseinandersetzung. Und in einem Staat wie Österreich betrifft das eben auch die römisch-katholische Kirche. Religionen de facto zu verbieten trägt wesentlich zur Schaffung von Parallelgesellschaften bei.
Der Diskussion müde
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bin dieser Diskussion müde. PolitikerInnen, die zwischen der offensichtlichen Doppelmoral und dem WählerInnen-Fang surfen, missinterpretieren ein wenig ihre Rolle. Sachlich sind die meisten Beiträge des Außen- und Integrationsministers nicht. Weder im Zusammenhang mit der Balkan-Route (deren Schließung haben Andere viel früher gefordert, Anm.), der Mittelmeer-Debatte und der Entwicklungshilfe (Österreichs Beitrag ist da sehr viel geringer als man vermuten würde, Anm.). Dafür umso populistischer und mit einer sehr kurzen politischen Halbwertszeit versehen.
Ich bin auf die ersten Diskussionen im Wahlkampf gespannt, wenn die PopulistInnen den WählerInnen vermitteln, dass sie lieber zum Schmied als zum Schmiedl gehen sollen und die sachorientierten PolitikerInnen die Inhaltsleere ihrer GegnerInnen aufzeigen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird Sebastian Kurz sachlich fundiert Farbe bekennen müssen, statt auf Populismus zu setzen …