Lange habe ich mit mir wegen dieses Artikels gerungen. Ich war unschlüssig, ob ich ihn veröffentlichen sollte oder nicht. Doch letztlich habe ich mich dazu durchgerungen, meiner politischen Wut hier Ausdruck zu verleihen. Ganz allgemein bin ich ob der fehlenden Differenzierung in der politischen Diskussion schockiert. Das betrifft nicht nur Debatten im Parlament, denn auch wir haben verlernt, zu differenzieren und damit zu diskutieren.
Unreflektierte Meinungen
Ich bin darüber schockiert, wie viele Menschen unreflektiert Argumente wiederkäuen, die PolitikerInnen ihrer Überzeugungen von sich geben. Populismus entsteht nämlich nicht durch politische VertreterInnen, die den Menschen nach dem Mund reden, sondern dadurch, dass auf den Stammtischen Meinungen unreflektiert wiedergegeben werden, ohne kurz innezuhalten.
Ein wunderbares Beispiel finden wir in der österreichischen Innenpolitik bei der undifferenzierten Diskussion zum Thema Flüchtlingsbewegung. Da wird von der humanitären Hilfe als selektive Option, von Menschenrechten mit einer zeitlichen Beschränkung und der Verteidigung „unseres“ Wohlstandes gesprochen. Tiefer wird in die Diskussion nicht gegangen.
Zynismus und Heuchelei
Während in manchen Industriezweigen bei uns nicht mehr die entsprechenden Löhne gezahlt werden, um davon ein ausreichend gutes Leben führen zu können, lagern wir dieselbe Arbeit in Billiglohnländer aus. Dort bezahlen wir die Menschen auch unter dem örtlichen Mindestniveau. So beträgt der durchschnittliche Monatslohn in afrikanischen Ländern in der Schuh- und Textilbranche 15 Euro. Auch im ärmsten Land kann man davon kaum leben.
Verständlicherweise treten diese Menschen dann die lebensgefährliche Flucht nach Europa an. Ist das verwunderlich? Der Gipfel unseres Zynismus ist, dass wir diese Mechanismen mit unserem Konsumverhalten fördern und gleichzeitig von Entwicklungshilfe sprechen. Oft werden die Zusammenhänge eines Themas stark verkürzt dargestellt.
Fakten statt Erzählungen
In Zeiten postfaktischer Sachverhaltsdarstellungen, wären mehr fundierte Fakten jeder Diskussion zuträglich. Die Frage ist, ob wir als Gesellschaft aufgrund der Flut an Nachrichten noch die Kapazität für eine differenzierte Auseinandersetzung mit einem Thema haben. Denn unser mediales Zeitalter hat einen Vorteil, der aber auch gleichzeitig ein Nachteil sein kann. Uns stehen mehr Informationen zur Verfügung. Sie zu selektieren ist zeitaufwändiger. Über Meinungen können wir eben leichter diskutieren und zur Polarisierung im politischen Diskurs eigenen sie sich ebenfalls. Deswegen dürften fundierte Fakten in der politischen Debatte kaum noch in Erscheinung treten. Denn sie emotionalisieren nicht und - das ist zumindest das Denkmuster vieler PolitikerInnen - wer nicht emotionalisiert wird, wählt nicht. Eigentlich traurig für die Entwicklung unserer Demokratie ...