Gesetzlich ist die Situation eindeutig. Dennoch kommen viele Kinder mit körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen in Sonderpädagogische Zentren, sogenannte Sonderschulen. Die Inklusion, wie sie eigentlich der Regelfall und nicht die Ausnahme sein sollte, findet nur selektiv statt. So selektiv, dass Inklusion in vielen Schulen als besonderes, positives Feature gilt. Dass Kinder mit Behinderung und Kinder ohne Behinderung gleichzeitig unterrichtet werden, scheitert oftmals an der bestehenden Infrastruktur und dem daraus fehlenden Mut der Regelschulen. Doch vielleicht ist das Problem anderswo verortet.
Die gesetzliche Lage ist eindeutig
Dem Gesetze nach sollten sonderpädagogische Zentren europaweit auslaufen. Eine Selektion nach körperlichen Kriterien widerspricht Gesetzes-Normen und den Menschenrechten. Für Eltern von Kindern mit Behinderung sieht der Alltag aber etwas anders aus. Zwar hat man das Recht, vorab eine Regelschule zu besuchen, bekommt dort aber oft den Hinweis, dass die Infrastruktur (Personal, Geld, Gebäude) eine optimale Betreuung verhindert.
Nachdem Eltern eine optimale Betreuung sicherstellen möchten, tendieren sie zum Angebot der Sonderschulen. Dort ist man auf die besonderen Herausforderungen vorbereitet und hat entsprechendes Lehrpersonal, das einen effektiven Unterricht umsetzen kann. Während eines EU-Projekts (SENnet) habe ich mich eingehend mit dieser Thematik in anderen europäischen Ländern befasst. Die Herausforderungen sind ähnlich. Zwar weiß man um die gesetzlichen Vorschriften, muss sie aber aus verschiedenen Gründen umgehen.
Die frühe Stigmatisierung
Menschen mit Behinderungen sind nicht behindert, sie werden behindert. Das ist der wesentliche Unterschied in der Formulierung. Aufgrund verschiedener Faktoren werden unterschiedliche Ressourcen für eine vollständige Inklusion benötigt. Kinder, die von Beginn an Sonderschulen besuchen, werden gesellschaftlich als „von der Norm abweichend“ stigmatisiert. Als ob die Norm definiert wäre. Zu stigmatisieren bedeutet, dass diese SchülerInnen das Gefühl vermittelt bekommen, mit ihnen stimme etwas nicht.
Als Gesellschaft dürfen wir uns tatsächlich fragen, ob diese Haltung nicht gestrig ist. Nachdem die ersten 20 Jahre im Leben von uns allen eine prägende Rolle einnehmen, sollte das Schulsystem dem gerecht werden. Ich halte nichts davon, Menschen qua ihrer Eigenschaften zu stigmatisieren. Denn damit wird ihnen die Möglichkeit genommen, sich ohne Vorurteile weiterzuentwickeln und die Schule sollte der Ort der persönlichen Entfaltung sein.
Technologie nützen
Während des EU-Projekts SENnet bin ich mit vielen tollen EntwicklerInnen von Lernsoftware ins Gespräch gekommen. Das Angebot ist beeindruckend. Stellen Sie sich vor, was ihr Smartphone bereits heute alles kann. Mit einfachen Tricks werden die bestehenden Geräte gut für den sonderpädagogischen Bedarf nutzbar und die APP-Landschaft deckt diesen schulischen Bedarf zur Genüge. Es könnte zwar besser sein, aber was wir heute bereits vorfinden, ist sehr brauchbar. Eine selektierte Auswahl guter Lernsoftware für den sonderpädagogischen (ich hasse dieses Wort) Bedarf ist hier zu finden.
Es krankt woanders
Nicht sonderpädagogische Zentren verhindern die Inklusion im Unterricht, sondern eigentlich die Ausstattung der Regelschulen. Und das meine ich nicht nur budgetär. Wäre Teamteaching ein bereits flächendeckend umgesetztes Konzept, der personelle Bedarf, der durch die Inklusion entsteht, wäre gedeckt. Dann wäre da das Argument des Geldes. Es ist kein Zeichen einer besonders guten gesellschaftlichen Entwicklung, wenn der Sparstift bei der Bildung angesetzt wird. Ein Gleichbleiben der Ausgaben im Vergleich zu den Vorjahren kommt einer de facto Reduktion gleich. Die Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft (um es ganz pathetisch zu formulieren) scheint also keine Priorität mehr zu haben.
Was die baulichen Herausforderungen betrifft: Jedes öffentliche Gebäude, also eigentlich auch Schulen, müssen für jede/n gut zu nützen sein. Diese Bestimmung sieht sogar die Webpräsenz öffentlicher Institutionen vor. Wie weit wir da tatsächlich sind, steht auf einem anderen Blatt Papier. Die Toleranzschwelle von Menschen mit Behinderungen scheint sehr hoch zu sein. Ein bedrückender Zustand …