Es war das langersehnte Statement von Sebastian Kurz. Ihn gäbe es nur mit Neuwahlen, denn die letzten demokratisch gewählten VertreterInnen der Regierung wären Werner Faymann und Michael Spindelegger. Doch in Österreich gibt es nur eine Direktwahl - nämlich die zum/r BundespräsidentIn. Außerdem wählen wir nicht die Bundesregierung, den Bundes- oder Vizekanzler. Es heißt nicht umsonst Nationalratswahl und dessen VertreterInnen werden von uns für fünf Jahre bestimmt. Die im Nationalrat vertretenen Parteien stellen sich zur Wahl, keine Einzelpersonen. Es wäre zwar eleganter, neu wählen zu lassen, aber sollen die WählerInnen dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Misskommunikation in der Regierung zur Arbeitsverweigerung führt?
Das Kalkül
Für Sebastian Kurz wären vorgezogene Neuwahlen günstig. Seine Beliebtheitswerte sind gut und die ÖVP würde davon profitieren. Jetzt neu wählen zu lassen, wäre aus Sicht der ÖVP die effektivste Strategie, wieder WählerInnen zu gewinnen. Doch ob die anderen Parteien diesem Kalkül folgen, steht auf einem anderen Blatt Papier. Das Team Stronach hat definitiv kein Interesse an Neuwahlen, denn in diesem Falle verschwinden sie aus dem Parlament. Die NEOS sehen einen akuten Bedarf, sich bis zu einer etwaigen NR-Wahl zu profilieren. Das ist ihnen nach einem starken Start bisher nicht ganz gelungen.
Die Grünen sind mit parteiinternen Richtungsdiskussionen beschäftigt und darüber hinaus dürfte ihnen nach der Wahl von Alexander Van der Bellen zum Bundespräsidenten das Geld in der Wahlkampfkasse fehlen. Die FPÖ ist sich des Umstandes bewusst, dass aktuell Sebastian Kurz der FPÖ Stimmen kosten könnte. Und die SPÖ möchte sich auf einen Kurz-Effekt erst gar nicht einlassen. Er soll in der Tagespolitik endlich Farbe bekennen und nicht mit teilweise destruktiven Strategien die Regierungslinie untergraben.
Dass Christian Kern (SPÖ) wilde Mehrheiten für besondere Gesetzgebungsvorhaben bereits vorab unter den VertreterInnen der Oppositionsparteien sucht, ist das Gegenteil von antidemokratisch. Das Parlament würde aufleben und nicht nur im Trott der Regierungsparteien müde Füße bekommen. Die Opposition würde sich endlich aktiv am Gesetzgebungsprozess beteiligen, anstatt nur zu kritisieren. Demokratiepolitisch finde ich eine derartige Variante spannend und die Parlamentarier würden für ihr Geld gehaltvoll arbeiten.
Kerns mögliche Strategie
Das Ziel der SPÖ muss sein, jegliche Verantwortung für Neuwahlen der ÖVP zuzuschieben und dabei Kurz zu entzaubern. Kern wird vermutlich vorab Mehrheiten für ganz konkrete Vorhaben suchen, die er der Bevölkerung als gemeinsame Erfolge verkaufen kann. Er wird die Chefs der übrigen Parteien daran erinnern, dass von ihnen eigentlich niemand ein Interesse an Neuwahlen haben kann. Vielleicht geht er sogar so weit, dass er der FPÖ zusichert, nach einer Wahl zunächst mit ihr zu verhandeln, damit einem Neuwahlantrag der ÖVP jetzt nicht zugestimmt wird.
Die in ihrer Struktur unbewegliche ÖVP hätte damit ein weiteres Dilemma. Verweigert sie die Arbeit mit einer Minderheitsregierung, käme der Vorwurf, nicht für das Geld arbeiten zu wollen. In der Obmann-Frage würde man auf dem falschen Fuß erwischt werden. Denn entweder nützt sich Sebastian Kurz bis zur Wahl ab, oder man findet einen Platzhalter, dem wiederum taktische Arbeitsverweigerung vorgeworfen wird, bis Kurz bereit ist. Und Christian Kern würde die „Schlechtmacher“ der Regierung, wie zum Beispiel Innenminister Sobotka, aus dem Spiel nehmen.
Veränderung durch Disziplin
Dass sich etwas am politischen Stil ändert, nur weil der Obmann der ÖVP Sebastian Kurz hieße, ist eine Mähr. Kurz ändert keine Strukturen in der ÖVP, im Parlament oder in der Regierung. Vielleicht bekommt er ein temporäres Durchgriffsrecht innerhalb der eigenen Partei, aber mehr nicht. Der Posten des Obmanns der ÖVP fängt damit an, die politischen Hausaufgaben zu machen. Dann verstünde Kurz, dass einen gewählten Nationalrat als undemokratisch zu bezeichnen eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit ist. Aber sachorientiert war der Außenminister in heiklen Fragen nie wirklich. Die Schließung der Balkanroute als persönlichen Erfolg zu verbuchen, wirkt grotesk, wenn das Ungarn als erstes Land gefordert hat.
Die Forderung, die Außengrenze der EU zu schließen, ist bei 3054 griechischen Inseln relativ zu bewerten. Zu sagen, man solle die Hilfe für in Seenot geratene Flüchtlinge unterlassen, damit Schlepper keine Optionen mehr haben, zeigt welche Geisteshaltung er hat. Da waren noch die Atomgespräche mit dem Iran in Wien. Hier konnte er demonstrieren, was er am besten kann: Händeschütteln, freundlich lächeln, medienwirksam auftreten und nichts inhaltliches beitragen.
Möchte Christian Kern tatsächlich mit wilden Mehrheiten arbeiten, bedarf es einer straffen Organisation, verlässlichen Vereinbarungen und einer gehörigen Portion Disziplin aller Beteiligten. Der Bevölkerung würde vermittelt werden, tatsächlich auf dem Boden der Demokratie zu arbeiten und politische Kompromisse in einem parlamentarischen Prozess auszuhandeln. Dann ginge es nicht um Posten, sondern um Sachpolitik. Es ginge nicht um die Beibehaltung des Status Quo, sondern um tatsächliche Veränderungen.
Fazit: Ehrlich den WählerInnen gegenüber!
Wenn Sebastian Kurz Neuwahlen möchte, soll er auch ehrlich sagen warum. Ginge es ihm um das demokratiepolitische Verständnis, würde er die Mehrheiten der letzten Wahlen und das mit dem Koalitionspartner vereinbarte Programm respektieren und nicht wählen wollen, weil es aktuell für ihn von Vorteil wäre. Mit diesem Argument könnte die Zusammenarbeit jeder Regierung zu einem beliebigen Zeitpunkt beendet werden, weil es die Umfragen suggerieren. Letztlich ist das eine Haltung, die ein populistischer und nicht ein sachorientierter Politiker hat. Dieses Umstandes sollten wir uns bewusst sein. Ein Vorwurf, der besonders schwer wiegt, wenn man Verantwortung in der Regierung trägt …