Von „Es reicht“ bis „Das macht keinen Spaß mehr“. Die ÖVP verbraucht mit Reinhold Mitterlehner den vierten Parteiobmann in den letzten zehn Jahren. Der letzte Parteichef, der sich seines Amtes halbwegs sicher sein konnte, war Wolfgang Schüssel und dieser war Bundeskanzler. Es hat den Anschein, als ob die ÖVP ob ihrer Bünde-Struktur intern nur zu befrieden ist, wenn sie den Führungsanspruch stellen kann. Glaubt man den Umfragen, ist die ÖVP weit vom Führungsanspruch entfernt und ein möglicher Nachfolger wird Strukturreformen innerhalb dieser ehemaligen Großpartei durchführen wollen und müssen. Aber lässt man ihn?
Demokratisch undemokratisch
Die in der ÖVP vereinten Bünde (Bauernbund, Wirtschaftsbund, Seniorenbund, ÖVP-Frauen, Junge ÖVP und ÖAAB, Anm.) haben breit gestreute Interessen. Diesen Umstand könnte man als Stärke auslegen, wenn die Partei strukturell demokratisch wäre. Doch das ist nicht immer der Fall. Beispielsweise ist der Landwirtschaftsminister stets ein Vertreter des Bauernbundes und vertritt logischerweise Partikularinteressen. Das Ministerium für Landwirtschaft hat aber auch die Umweltagenden. Nachdem Österreich weniger als 10 Prozent Bauern hat, haben diese damit aufgrund der Agenden de facto mehr Einfluss, als ihre Bevölkerungsgruppe vermuten ließe.
Das ist nur ein Beispiel. Auch bei der Besetzung von Posten kommt immer ein anderer Bund zum Zug. Die fachliche Qualifikation scheint a priori nur eine sekundäre Rolle zu spielen. Dann sind da noch die jeweiligen Landesorganisationen, die teilweise zerstritten sind und jede Entscheidung des Bundes hinterfragen. In gewisser Weise muss der Parteiobmann der ÖVP diese hochkomplexe Ansammlung von Interessen orchestrieren. Und wenn man nicht den Bundeskanzler stellt (siehe Wolfgang Schüssel), geht man in diesem Spannungsfeld unter.
Der Nachfolger muss Farbe bekennen
Oppositionspolitik zu betreiben, während man eine verantwortungsvolle Position bekleidet, spricht vielleicht manche Gruppen von WählerInnen an und trägt zur Steigerung der Beliebtheitswerte bei, hat aber wenig mit sachlich stringenter Arbeit zu tun. Eine derartige Haltung ist leichter einzunehmen, wenn jemand anderer Parteiobmann ist und derartige Querschläger verdauen muss. Diese Kritik ist bewusst an den gegenwärtigen Außenminister gerichtet.
Als mögliche Zukunftshoffnung wird Sebastian Kurz schon lange gehandelt, doch bezeichnet er den möglichen Job als wenig attraktiv. Kein Wunder, wenn man sich mit PolitikerInnen wie ihm in den eigenen Reihen auseinandersetzen muss. Wenn er der neue Parteiobmann wird, dann vermutlich nur mit dem Pouvoir, Strukturreformen umsetzen zu dürfen. Eine Partei wie die ÖVP zu übernehmen ist eine ganz andere Hausnummer, als medienwirksam teilweise zweifelhafte Kommentare vom Stapel zu lassen.
Der Reformbedarf
Wenn es so etwas wie den geeigneten Zeitpunkt für parteiinterne Reformen gibt, ist dieser jetzt. Mit Erwin Pröll und Josef Pühringer sind zwei sogenannte Landesfürsten von der Bildfläche der Tagespolitik verschwunden. Die ÖVP weiß darüber hinaus, dass die populistischen Kräfte in diesem Land ihr stetig die WählerInnen wegnehmen. Ein Wechsel an der Parteispitze hätte vermutlich das Ziel einer Rückrufaktion von Stimmen. Das gilt aber nur für den Fall, dass der Nachfolger Mitterlehners sich bis zur Wahl nicht abnützt und nicht in den Beliebtheitswerten nachlässt. Nachdem aber laut Verfassung mindestens 81 Tage zwischen dem Ausrufen der Neuwahl und der Wahl selbst vergehen müssen, sind aktuelle Umfrage- und Beliebtheitswerte Schall und Rauch.
Die ÖVP nachhaltig neu aufzustellen, damit sie mit den aktuellen politischen Kräften konkurrieren kann, wäre das Gebot der Stunde. Bereits vor über zehn Jahren wurde eine Perspektiven-Gruppe innerhalb der ÖVP zu diesem Zweck eingerichtet. Die Ergebnisse waren mutig und hätten möglicherweise etwas bewirkt. Wer war der Leiter dieser Reformplattform? Josef Pröll, ein weiteres Obmann-Opfer innerhalb der letzten zehn Jahre.
Fazit: Persönlich nachvollziehbar, und jetzt?
Dass Reinhold Mitterlehner geht, ist menschlich nachvollziehbar. Niemand möchte sich als Platzhalter für etwas Besseres verstanden wissen. Seine Kritik, dass man die Oppositionspolitik lassen solle wenn man Regierungsverantwortung trägt, kann als deutlicher Seitenhieb auf Sebastian Kurz und Wolfgang Sobotka verstanden werden. Der Zeitpunkt seines Rücktritts bringt seinen Nachfolger in ein strategisches Dilemma.
Ruft dieser Neuwahlen aus, müssen 81 Tage bis zur Wahl vergehen. Das wäre im Sommer und das ist unrealistisch. Ein möglicher Neuwahltermin im Herbst ist realistischer. Bis dahin können sich Umfragen und Beliebtheitswerte signifikant ändern. Der positive Effekt eines neuen Parteichefs kann vermutlich nicht so lange anhalten. Vermutlich hat dies Reinhold Mitterlehner kalkuliert. Denn die mühsame Aufbauarbeit zu leisten, damit jemand gut getimt das Zepter übernimmt, wäre zu viel gewesen …