Atmet Europa wirklich auf?

Brücke Prag
Quelle: https://static.pexels.com/photos/161894/town-history-architecture-czech-repulic-161894.jpeg 09.05.2017

Die Präsidentschaftswahl in Frankreich ist geschlagen und Emmanuel Macron hat sie gewonnen. Deutlich. Damit haben die französischen Wahlberechtigten der rechtsextremen und rechtspopulistischen Marine Le Pen eine unmissverständliche Absage erteilt. Ob Europa jetzt tatsächlich durchatmen kann, ist nach einem derartigen Wahlsieg fraglich. Denn von den über 47 Millionen Wahlberechtigten sind 12 Millionen gar nicht wählen gegangen und über 4 Millionen haben ungültig gewählt. Bei den gültig abgegebenen Stimmen hatte Macron mit über 65 Prozent einen komfortablen Vorsprung. Den Grund zur Entspannung sehe ich angesichts der vielen europäischen Baustellen nicht.

Vor einer Zerreissprobe

Denn auch die klare Absage der Französinnen und Franzosen an den Front National täuscht auch mit ein wenig Abstand zum Wahlabend nicht darüber hinweg, dass die Europäische Union alles andere als vereint wirkt. Großbritannien wird die EU verlassen und es stehen mühselige Verhandlungen bevor. Darüber hinaus ist wirtschaftlich ein Nord-Süd-Gefälle zu beobachten. Länder wie Griechenland können niemals an die Wirtschaftsleistung von Deutschland anschließen.

Was die europäische Solidarität betrifft, beobachten wir ein deutliches West-Ost-Gefälle. Zwar strecken die Visegrad-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, Anm.) dankend die Hände aus, wenn es um Fördergelder geht, verweigern aber bis heute eine faire Verteilung der Flüchtlinge über ganz Europa. So entsteht nämlich der Eindruck, es gäbe so etwas wie ein Asyl à la carte.

Darüber hinaus wird jede Entscheidung des Europaparlaments durch den Rat (Staats- und Regierungschefs, Anm.) gleichsam demokratisch entwertet oder relativiert. Im Kleinen nervt mich diese Tendenz genauso. Sobald in Österreich die Landeshauptleute mitreden dürfen, werden politische Entscheidungen verwässert. Das Resultat ist eine Politikverdrossenheit. Diese ist auch auf europäischer Ebene zu beobachten.

Es war einmal …

Auto auf Landkarte Europas
Quelle: https://static.pexels.com/photos/21014/pexels-photo.jpg 09.05.2017

Früher stand Europa noch für vereinende Werte. Gerade meine Generation profitierte gewaltig von diesem Spirit. Plötzlich tauschte man sich über die Staatsgrenzen hinweg aus, überwand traditionelle Barrieren und stellte fest, dass wir doch alle sehr ähnlich sind. Doch plötzlich wird wieder das Trennende in den Vordergrund gestellt. Populistische Parteien haben kaum nachvollziehbare Zuwächse und bedienen sich eines Populismus-Begriffs, der die Kleinstaaterei in den Vordergrund stellt.

Größer zu denken fällt schwer. Nachhaltige Lösungen über die Staatsgrenzen hinweg zu suchen, wird ein Ding der Unmöglichkeit. Die arrivierten PolitikerInnen laufen aufgescheucht von den PopulistInnen jenen WählerInnen nach, die sie zu verlieren glauben. Aber sie verlieren sie nicht, weil Patriotismus eine Rolle spielt. Sie verlieren ihre WählerInnen, weil sie sich selbst untreu geworden sind. Für Ideale stehen sie vordergründig nicht mehr ein.

Fazit: Ohne Scheuklappen diskutieren!

In Frankreich gewann Emmanuel Macron mit einem klaren Bekenntnis zu Europa. Er glaubt, dass Veränderungen nur innerhalb der europäischen Gemeinschaft stattfinden können. Und gerade jetzt wäre es die Verpflichtung europäisch denkender PolitikerInnen, unser Europa zu reformieren und das Vereinende wieder ins Zentrum zu rücken. Vielen wird das nicht gefallen. Nach wie vor glauben sie nämlich, dass soziale Probleme lieber innerhalb der nationalen Grenzen gelöst werden. Doch das ist eine Illusion. Wird das Defizit durch die ehemalige Hypo-Alpe-Adria weniger, wenn wir „dicht“ machen? Gibt es keine Armut mehr, wenn wir Europa die Schuld geben? Gewinnt Europa an Menschlichkeit, wenn wir über Menschen diskutieren, als wären sie eine unerwünschte Ware?

Justitia
Quelle: https://pixabay.com/de/gerechtigkeit-urteilende-justitia-9016/ 09.05.2017

Der Großteil der BürgerInnen ist vermutlich nicht Politik-, sondern Politiker-verdrossen. Die Wut richtet sich gegen das Establishment und seine Verkrustung. Die populistischen Rattenfänger können diese Wut sehr gut instrumentalisieren, was sich in Stimmzuwächsen widerspiegelt. Aber ihre Stimmen entspringen mehrheitlich der Wut, nicht der Überzeugung. Die Wahlen in Frankreich und die Ablehnung von Marine Le Pen haben das gezeigt. Doch wenn Europa durchatmet und stehen bleibt, begeht es den gleichen Fehler zum wiederholten Male. François Mitterand sagte einst, dass Europa aus dem Bewusstsein entsteht, dass Nationalismus Krieg bedeutet …