Wir schreiben das Jahr 1998. In Österreich regiert eine große Koalition unter Viktor Klima, doch es kriselt. Niemand konnte zum damaligen Zeitpunkt die politischen Ereignisse nach dem Jahr 2000 vorhersehen. Österreich übernimmt den europäischen Ratsvorsitz und in der Bildung herrscht eine Aufbruchstimmung, wie schon lange nicht mehr. Im Zuge der Netd@ys wurde der anfängliche Fokus der Konzentration auf Hardware in Richtung der erfolgreichen Integration der Software-Angebote in den Unterricht verschoben. Grundsätzlich ging es schon damals um die Frage, wie Online-Ressourcen sinnvoll in verschiedenen Lernumgebungen eingesetzt werden. Doch das europäische Interesse stand im Vordergrund.
1998 als visionärer Wendepunkt
In der heutigen Bildungsdiskussion wird oft über die pädagogisch sinnvolle Integration von Online-Ressourcen diskutiert. Die Initiative Netd@ys hielt im Vorwort ihrer Broschüre 9802 (Netd@ys 9802, Salzburg Research Forschungsgesellschaft mbH, 2002) Folgendes fest:
„Das Hauptziel der Netd@ys bestand daher zunächst darin, die Kenntnisse über die Möglichkeiten der Nutzung der neuen Medien (Multimedia, Videokonferenzen oder neue audiovisuelle Verfahren) als Ressourcen für das Lehren und Lernen zu fördern und europaweit die Akzeptanz der Bildungsverantwortlichen durch praktische Beispiele bildungsrelevanter Einsatzmöglichkeiten zu steigern.“
Wenig später wurde die grundsätzliche Frage in den Raum gestellt, wie Online-Medien sinnvoll in verschiedenen Lernumgebungen eingesetzt werden können. Stellen wir uns heute nicht dieselbe Frage? 1998 zeichnete sich offenbar schon die heute zur Verfügung stehende Fülle an Online-Materialien im Bildungsbereich ab. 2015 hat sogar die Europäische Kommission ihre Unterstützung für Bildungsprojekte zur Inhaltserstellung zurückgefahren, weil schon entsprechende Materialien in beinahe allen Bereichen zur Verfügung stehen.
Politisch andere Zeiten
1998 war eine politisch andere Zeit. Der europäische Integrationsprozess stand im Vordergrund und wirtschaftlich waren die Krisen nach 2008 noch nicht zu erahnen. Österreich hielt 1998 den EU-Ratsvorsitz inne und war nach dem Beitritt 1995 noch in der europäischen Honeymoon-Phase. Die Union war damals noch kleiner, zumal die EU-Osterweiterung noch lange nicht vor ihrem Abschluss stand und auch innenpolitisch hielten wir uns von populistischen Strömungen in der Regierungsverantwortung fern.
Inhaltliche Vernetzung in der Bildung
1998 wurde auch erkannt, dass die inhaltliche Vernetzung europäischer PädagogInnen höchst sinnvoll ist. Schnell wurde festgestellt, dass alle Beteiligten unterschiedliche finanzielle Voraussetzungen haben und daher Fragen der Hardware nicht allgemein gültig beantwortet werden können. Die europaweiten Kooperationen verlagerten sich zunehmend auf die inhaltliche Ebene.
Nachdem die Bildungspolitik in den Kompetenzbereich der Mitgliedsstaaten fällt, basierte die europäische Dimension eher auf Umsetzungsstrategien vorhandener Ideen und auf die Bildung von Ressourcen-Pools, die europaweit anwendbar waren. Vor diesem Hintergrund wurde auch ein Jahr zuvor das European Schoolnet ins Leben gerufen, das mittlerweile mehr Mitglieder umfasste.
Fazit: Die Bildung braucht Europa!
In keinem anderen Politikfeld wurde die europäische Idee so konsequent umgesetzt, wie in der Bildung. Denn obwohl sie aus gutem Grund in den Kompetenzbereich der Nationalstaaten fällt, einigte man sich auf mehrfache Kooperationen, die noch heute ihre Früchte tragen. Viele tolle Ideen wurden deswegen geboren, weil die Verantwortlichen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen kamen. In der Bildung begriff man schnell, dass die europäische Pluralität gewinnbringend ist.
Deswegen bin ich ein Fan der europäischen Idee. Ich habe aus erster Hand erfahren, welches Potenzial in einer zielgerichteten, europäischen Kooperation liegt, wenn die gemeinsamen Interessen im Vordergrund stehen und Einzelinteressen in den Hintergrund rücken. Dieser Drive ging leider verloren. Aber vielleicht besteht ja Hoffnung …