Wenn in der Politik Größe durch Einfluss definiert wird, kündigte gestern der gegenwärtig größte Politiker Österreichs seinen Rücktritt an. Egal, welche Meinung man zu Dr. Erwin Pröll hat, politikwissenschaftlich gesehen verkörperte er Politik vielleicht wie kein anderer. Definitionsgemäß ist Politik die Herbeiführung kollektiv verbindlicher Entscheidungen. Und kaum ein anderer Politiker konnte Partei- und Regierungsmitglieder so diszipliniert auf Linie und hinter sich bringen. Was bedeutet es, wenn sich der Königsmacher der ÖVP nun zurückzieht?
Überraschend war es eigentlich nicht
Die Einschätzung, die Rücktrittsankündigung kommt völlig überraschend, kann ich nicht teilen. Begonnen hat es damit, dass Erwin Pröll nicht als Kandidat für die Wahl zum Bundespräsidenten zur Verfügung stand. Danach zeigte er seiner Partei, dass er ihr wahrer Chef ist und holte Johanna Mikl-Leitner noch vor dem ersten Wahldurchgang zur Präsidentschaft als inoffizielle Nachfolgekandidatin nach Niederösterreich. Der Effekt: Die Ablenkung war so groß, dass Andreas Khol absolut chancenlos war.
Und jetzt die Enthüllungen von Florian Klenk (Falter) zur Dr. Erwin Pröll Privatstiftung. Auch, wenn sie nicht der offizielle Grund für den Rücktritt waren, zum Zeitpunkt und der Art des Rücktritts haben sie sicher beigetragen. Denn Erwin Pröll hat sich seinen Rücktritt sicherlich pompöser vorgestellt.
Eine Privatstiftung, viele Fragen
2006 feierte Erwin Pröll seinen 60. Geburtstag und erhielt zu diesem Anlass 150.000 Euro in Kleinbeträgen. Um nicht den Eindruck des kaufbaren Politikers entstehen zu lassen, wurde diese Privatstiftung ins Leben gerufen, auf deren Konten dieses Geld eingezahlt wurde. Der Stiftungszweck: Die kulturelle Tradition pflegen und den ländlichen Raum weiterentwickeln. In Zukunft soll sogar eine Akademie das Produkt dieser Stiftung sein.
Die schiefe Optik entstand, als angeblich über eine Million Euro für diese Stiftung aus Landesgeldern reserviert wurde und davon bereits 300.000 Euro an die Privatstiftung geflossen sind. Gebaut wurde in dieser Zeit nichts. Spekulationen sind müßig, denn der Rechnungshof wird diese Stiftung nun genau prüfen.
Rücktritt einer politischen Ikone?
Ich selbst bin in Niederösterreich aufgewachsen und bereits in meiner Kindheit war Erwin Pröll fast allgegenwärtig. Egal, ob in Bildern in der Volksschule, live bei jeder größeren Veranstaltung oder bei Wein-Events. Auch wenn der Grund dafür gerüchteweise ein anderer ist. Ein Witz besagt, dass der Unterschied zwischen Gott und Erwin Pröll jener ist, dass Gott weiß, er wäre nicht Erwin Pröll. Das politische System wird sich ändern, denn die ÖVP wird sich ändern.
In der Steiermark stellt man den Landeshauptmann, nachdem das Franz Voves (SPÖ) so einfädelte. In Oberösterreich wurden viele Stimmen verloren. Salzburg und Tirol sind wesentlich urbaner als es den Anschein hat. Und mit Niederösterreich könnte das schwarze Kernland erheblich an Einfluss verlieren. Denn, ob Johanna Mikl-Leitner die Schuhe von Erwin Pröll tragen kann, wird sich erst zeigen.
Fazit: Die Zeit der Landesfürsten ist vorbei!
JournalistInnen und Blogger machen denselben Fehler. Sie bezeichnen gewählte PolitikerInnen als Landesfürsten. Vor allem, weil gegen sie im Bund nicht regiert werden kann und sie sich gefühlt oft gegen Bundesinitiativen quer legen. Die bundesweit einheitliche bedarfsorientierte Mindestsicherung ist da nur das letzte Beispiel. Wenn nun ihr lautester Vertreter zurücktritt, verlieren sie zwangsläufig an Einfluss. Auch bundesweit konnte die ÖVP ohne das schwarze Kernland Niederösterreich keine Wahl erfolgreich bestreiten. Vielleicht erleben wir in mittelbarer Zukunft einen Wechsel der politischen Kultur in Österreich. Ausgelöst vom Rücktritt einer Person. Und das ist vielleicht das größte Kompliment, das man Erwin Pröll machen kann …