Trevor Noah hat in seiner Daily Show das vergangene Jahr aus politischer Sicht Revue passieren lassen. Was nicht nur für ihn herausstach, ist die Wahl Donald Trumps in den USA. Speziell geht es um die - wie ich es nenne - selektive Wahrheitsinterpretation. Was ein/e PolitikerIn vor der Wahl sagt, deckt sich sehr oft nicht mit den Haltungen nach der Wahl. Während ich das Video in diesem Beitrag nicht näher kommentieren werde, möchte ich das strukturelle Wahrheitsproblem der Politik aus einer menschlich-realistischen Sicht beleuchten und versuchen zu beantworten, warum Lügen ein fixer Bestandteil der politischen Selbstdarstellung sind. Vielleicht gibt es ja sogar Umstände, unter denen „Flunkern“ akzeptabel ist.
Ein Erdenbürger hat nach seinem Tod die Wahl zwischen Himmel und Hölle. Zunächst wird ihm der Himmel gezeigt. Engel sitzen auf ihren Wolken und spielen Harfe. Danach wird ihm die Hölle gezeigt. Spielhallen, Glücksspiel, Geld und Prostitution. Am Ende des Rundgangs sagt der Erdenbürger in der Eingangshalle: „In der Hölle gefällt es mir wesentlich besser - da will ich hin.“ Er wird zurück in die Hölle geführt und sieht nur Kohlebergwerke, Schmutz und Arbeit in Ketten. Auf die Frage, wo denn das tolle Leben ist wird ihm entgegnet: „Vor der Wahl und nach der Wahl!“
Ein Witz und sein wahrer Kern
In diesem Witz ist mehr Wahrheit als Unterhaltungswert enthalten. Es scheint fast so, als ob PolitikerInnen vor Wahlen jedes Mittel recht ist, um zu gewinnen. Donald Trump ist da nur ein provokantes Beispiel. Aber zu „flunkern“, ist keine Eigenschaft, die alleine PopulistInnen für sich nützen. PolitikerInnen befinden sich in einem Wettbewerb der Meinungen, der in Wahlen seinen Höhepunkt findet und für den sie persönlich geradezustehen haben. Misslingt ihr Unterfangen, werden sie ausgetauscht. In einem Wettbewerb wird jeder noch so kleine Vorteil generiert, auch wenn dieser nicht unbedingt auf dem Fundament der Wahrheit entsteht.
Gefällt mir dieses Vorgehen? Nein. Natürlich wäre es mir persönlich lieber, wir WählerInnen müssten nicht auch noch den Wahrheitsgehalt und - viel wichtiger - seine Relevanz für das vorliegende Problem bewerten. Und absolut jede/r PolitikerIn, ausnahmslos, hat im besten Falle die Wahrheit gebogen, um ans Ziel zu kommen. Politische Karrieren dauern lange an und es ist viel Basisarbeit erforderlich. Und eine/n VolksvertreterIn zu finden, deren/dessen Haltung über viele Jahre hinweg stringent gleich bleibt, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Diese politischen Karrieren überleben nicht.
Lügen erlaubt
Im österreichischen Präsidentschaftswahlkampf 2016 sorgte eine Aussage eines Kandidaten für fragende Blicke, als er ungeniert temporäre Lügen als ein manchmal notwendiges Mittel definierte. Zum Beispiel, um Verhandlungen im Sinne des Interessenausgleichs nicht zu gefährden. Ja und? Wir bezahlen unsere VolksvertreterInnen recht fürstlich, um genau diese Abwägung zu fällen. Es ist der Umgang mit der Wahrheit nachher, der entscheidet. Selbstkritik versus Selbstverliebtheit.
Meiner bescheidenen Auffassung nach besteht ein qualitativer Unterschied im Zeitpunkt der Unwahrheit. Wird die Lüge als Mittel im Wahlkampf oder in der Ausübung einer Position eingesetzt? Im Wahlkampf sorgt das für Verwirrung, bei der Ausübung ist sie manchmal notwendig. Die Haltung dazu ist individuell unterschiedlich. Vielleicht sollten wir darüber nicht reden müssen, doch vielleicht bringt genau diese Diskussion jene Authentizität in die politische Bewertung, die längst überfällig war.
Fazit: Der politische Frust beginnt mit der Selbstlüge!
Vielleicht beginnt die PolitikerInnenverdrossenheit mit unserer Selbstlüge. Vielleicht trägt unserer Erwartung Schuld an der Misere. Es fängt bereits bei der Illusion an, einfache Antworten für komplexe Fragestellungen zu haben. Da entsteht viel mehr Schaden. Einfache Antworten gibt es in der Politik nicht, denn sonst wären sie längst umgesetzt worden. Ab dem Zeitpunkt des Glaubens an einfache Antworten ist der Schaden schon entstanden. Wäre es die politische Verantwortung der WählerInnen, hier fundiertere Haltungen im Prozess der politischen Meinungsfindung einzunehmen? Ich meine das nicht normativ, sondern argumentativ. Die demokratische Wahl sollte für jede/n vor dem Spiegel gut zu argumentieren sein. Vielleicht sprechen wir dann weniger von PolitikerInnen, die lügen, sondern von WählerInnen, die diese Lügen nicht bewerten können …