Vor einiger Zeit habe ich über die Flucht vor der Technik gesprochen. Darüber, dass wir uns danach sehnen, unsere elektronische Abhängigkeit zu beseitigen. Nachdem ich das Weihnachtsgeschäft beobachtet habe und ein klarer Trend zum Retro erkennbar ist, scheint es nicht um die Flucht an sich zu gehen. Wonach sich viele Menschen zu sehnen scheinen, ist die Vereinfachung. Dass wir plötzlich elektronische Geräte zu schätzen wissen, die durch ihre Einfachheit bestechen, mag an unserem Verständnis liegen. Ein Plattenspieler, eine alte Spielkonsole oder alte Uhr sind in ihrer Zusammensetzung nachvollziehbarer als die vielen Gadgets unseres Alltags. Doch Retro heißt nicht, auf moderne Technik zu verzichten, vor allem nicht in der Bildung …
Was ist die Simplifizierung?
An älteren Geräten fasziniert uns vor allem die Logik der einfachen Bedienung. Der Google-Gründer sagte einst, dass wirklich gute Technologie irgendwann unsichtbar wird. Und mit unsichtbar ist vor allem die völlig natürliche und intuitive Integration in unseren Alltag gemeint. Wenn uns Dinge nicht mehr auffallen, sind sie unsichtbar. Bis dieser Zustand erreicht wird, sollten wir unsere Gadgets möglichst einfach bedienen können. Genau hier lieg der Reiz des alten Designs. Zwar war nicht immer alles intuitiv, aber es ist vertraut und wirkt daher so.
Mit Simplifizierung ist vor allem das Verständnis über die Funktionsweise und ihrer Bedienung gemeint. Wenn wir begreifen, wie die technischen Funktionen zusammenhängen, ist ein Gerät simplifiziert. Bei meiner neuen Kamera erinnern die Schalter und Hebel an ein altes Gerät, das jedoch mit modernster Technik gespickt ist. Aber ich weiß genau was passiert, wenn ich den einen oder anderen Regler verstelle.
Ich bin ein Fan
Gleich vorweg: Ich bin ein Fan des Retro-Designs. Wenn Dinge „alt“ aussehen, ziehen sie mich magisch an. Eine alte Fotokamera, ein Plattenspieler, ältere Brettspiele, Uhren oder alte Fahrzeuge üben eine gewisse Faszination auf mich aus. Allerdings bin ich auch ein Kind der heutigen Generation und weiß die Errungenschaften der Funktionalität zu schätzen. Wäre es nicht wunderbar, modernste Technik in ein Retro-Design zu stecken? Viele Produkte gehen bereits diesen Weg. Seien es Kameras, Kaffeemaschinen oder Plattenspieler, die zwar einen analogen Sound produzieren, aber dann doch mit dem Computer verbunden werden können.
In der Bildung
So sehr ich ein Fan des Retros bin, in der Bildung muss die Sache etwas differenzierter betrachtet werden. Den Mittelweg des Designs gibt es hier noch nicht in dieser Form. Oder haben Sie schon ein alt aussehendes Buch gesehen, das interaktiv wie die digitalen Lernbegleiter funktioniert? Wenn es in der Bildung um Retro geht, hören wir oft Sätze wie: „Für mich war das gut und deshalb kann es für mein Kind nicht schlecht sein.“ Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn eine zentrale Aufgabe der Bildung ist es, unsere Kinder bestmöglich auf das Leben nach der Schule vorzubereiten. Die neuen Medien nützen zu können, ist eine Basiskompetenz.
Das Bildungssystem hat noch eine ganz andere, wesentliche Aufgabe. Das Verständnis für die Technik. Wenn sich meine Generation nach der Simplifizierung der Bedienung, nicht der Technik, sehnt, liegt das am fehlenden Verständnis der Geräte unseres täglichen Gebrauchs. In der Bildung geht es darum, die Welt zu begreifen. Das betrifft jedes Alter und fängt bereits an, wenn wir als Säuglinge nach allem greifen, das uns umgibt. Wenn die Funktionsweise und Bedienung der Geräte derart erklärt und vorgelebt werden kann, dass sie völlig natürlich erscheinen, ist ein wesentlicher Schritt getan.
Fazit: Verständnis statt Flucht und Retro als Ausweg!
Dass ich viele meiner Artikel hier zunächst mit Tinte in einem alt aussehenden Buch konzipiere, ist weder Ausdruck einer Retro-Haltung von mir, noch als generelle Arbeitsempfehlung zu verstehen. In Bildungsfragen bin ich der Meinung, möglichst viele Ressourcen einzubeziehen und nicht a priori etwas abzulehnen, nur weil das Verständnis fehlen mag. Und genau darum geht es. Wenn sogenannte Bildungsexperten/-expertinnen von Spitzer abwärts die Digitalisierung ablehnen, frage ich mich, ob sie die Potenziale ablehnen oder nicht verstehen. In Bildungsfragen halte ich die Ablehnung für prinzipiell gefährlich. Sei es gesellschaftlich, politisch oder pädagogisch. Wenn das Verständnis früh gelehrt wird, ist später die Notwendigkeit der Flucht vor der Technik nicht gegeben. Mit diesem Verständnis sind mehrere Aspekte gemeint:
Zum Einen geht es um ein grundsätzliches, technisches Verständnis, das uns von unreflektierten AnwenderInnen zu verantwortungsvollen KonsumentInnen macht. Zum Anderen geht es um das Erkennen und das Nützen der unendlichen Potenziale. Erst wenn diese Potenziale im Bildungskanon verstanden werden, werden die Gadgets wieder zu dem, was sie sind. Der sprichwörtliche Bleistift. Wir setzen ein, was wir zu einem gegebenen Zeitpunkt für notwendig erachten. Für den privaten Konsum ist das Retro-Design eine Lösungsmöglichkeit, bekannte Funktionalitäten mit moderner Technik zu verbinden. Vielleicht reduziert Retro eine Barriere in der Verwendung und ermöglicht uns, Technik wieder als den sprichwörtlichen Bleistift einzusetzen …