Mir ist das unangenehm. Zwar schreibe ich oft über politische Themen, aber wenn die Bildungspolitik rechtspopulistischen Parolen zum Opfer fällt, stellt sich ein Gefühl der Beklemmung ein. Vor allem, weil es sich um ein Menschenrecht handelt. Wenn eine französische Politikerin und Kandidatin für das Präsidentenamt Bildung für EinwanderInnen hinterfragt, ist es fünf vor zwölf. Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National möchte die Bildung für Kinder von EinwanderInnen nicht mehr kostenlos anbieten. So absurd diese Forderung ist, vermutlich sagt sie mehr über die Politikerin aus, als sie ahnt …
Bildung ist ein Menschenrecht
Im Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 ist das Recht auf Bildung als Menschenrecht verbrieft. Ebenso ist das Recht auf Bildung im Artikel 28 der Kinderrechtskonvention verankert und im Artikel 22 der Genfer Flüchtlingskonvention ist der Zugang zur öffentlichen Erziehung auch für Flüchtlingskinder zwingend vorgeschrieben, insbesondere für die Primarstufe. Bereits seitdem die ersten Menschen in feudalen Strukturen Bildungsangebote für ihre Kinder (Anm. d. Red.: damals noch kirchlich organisiert) zu realisieren versuchten, ist die Bildung ein Teil jedes demokratischen Prozesses geworden.
Seither geht die Entwicklung demokratischer Strukturen mit jener öffentlicher Bildungsangebote Hand in Hand. Mancherorts dauerte die Implementierung etwas länger, aber final betrachtet kann gesagt werden, dass die Qualität öffentlicher Bildungsangebote für reife Demokratien spricht. Über diese These kann diskutiert werden, sie ist allerdings in der Literatur belegbar.
Klassische Verwechslung
Wieder einmal tritt eine öffentliche Person in ein altbekanntes Fettnäpfchen. Um Marine Le Pen sprechen zu lassen:
„Ich habe nichts gegen Ausländer, aber ich sage ihnen: Wenn ihr in unser Land kommt, erwartet nicht, dass man sich eurer annimmt, dass eure Kinder kostenlos ausgebildet werden. Damit ist jetzt Schluss. Die Zeit der Erholung ist vorbei.“ (Quelle: Spiegel online)
Sie verwechselt in ihrem Zitat Bildung mit Ausbildung. Auf die Ausbildung gibt es im Gegensatz zu Bildung kein verbrieftes Recht. Die Ausbildung ist nicht mehr allgemein gehalten und berufsspezifisch. Bildung im engeren Sinn ist hingegen allgemein, allumfassend und, im aufklärerischen Sinn, ein Mittel, den Menschen aus seiner Unmündigkeit zu befreien.
Die Solidarität und ihre Interpretation
„Franzosen müssen mit Franzosen solidarisch sein,“ so Marine Le Pen. Wie wäre es damit, dass Menschen mit Menschen solidarisch sind? Ist das nicht der Sinn der verbrieften Menschenrechte, eine grundlegende Solidarität mit unseren Mitmenschen zu leben? Daher wirkt die Interpretation Marine Le Pens eher deplatziert als überlegt. Aber diese Interpretation ist Ausdruck einer nationalistischen Geisteshaltung, die eher an die Ereignisse der Nationalisierung zur Mitte des 19. Jahrhunderts erinnern.
In einer postnationalen Demokratie haben sich die Begriffe Solidarität und Identität verschoben. Aber RechtspopulistInnen haben - so scheint es - diese Entwicklung verschlafen. Stabil bleibt allerdings der Wert der freien Bildung. Dieser geht, wie bereits eingangs festgehalten, mit der demokratischen Entwicklung Hand in Hand, damit jede/r die Entwicklungen einer Demokratie nachvollziehen kann. Dass dies nicht flächendeckend gelingt, ist vielleicht Ausdruck einer teilweise erfolglosen Bildungspolitik.
Fazit: Wen meint Marine Le Pen?
Auf Anfrage, wer denn von ihren Vorschlägen betroffen sei, meinte Marine Le Pen, es wären Kinder von illegalen EinwanderInnen betroffen. Das scheint in der Praxis etwas schwer zu werden. Jene, die sich illegal in einem Land aufhalten, werden sich nicht dezidiert deklarieren, und jene, die einen Rechtsbruch zum Zwecke des Asylmissbrauchs begangen haben, werden abgeschoben - oder stehen davor. Le Pens Aussage klingt nach billigem Populismus, um Emotionen bei MitbürgerInnen zu befrieden. Wenn Kinder illegaler EinwanderInnen unterrichtet werden, ist die größere Herausforderung, illegale EinwanderInnen aufzugreifen, nicht ihre Kinder zu bestrafen.
Marine Le Pen möchte zwar französische Präsidentin werden, hat aber ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Denn dann wüsste sie, dass die allgemeine Bildung im Sinne der Menschenrechte nicht verhandelbar ist. Sie wüsste auch, dass die Feststellung des illegalen Aufenthaltstitels in der Praxis recht schwer werden dürfte und es wäre ihr bewusst, dass sie gerade aus den schwächsten MitgliederInnen einer Gesellschaft politisches Kleingeld zu schlagen versucht. Ist das Gefühl der Beklemmung nachvollziehbar?