Die Wahlkämpfe in den USA und in Österreich zeigen ein systemisches Problem der neuen Demokratie: Um Wähler/-innen zu gewinnen, scheint beinahe jedes Mittel legitim zu sein. Das in den USA sehr beliebte „Negativ Campaigning“ wird auch in Österreich zum probaten Mittel des Wahlkampfes. Wenn ich Wahldiskussionen im TV verfolge, stelle ich mit Entsetzen fest, dass fast nur noch auf die Fehltritte des/der Gegenkandidat/-in hingewiesen wird. Es scheint fast nebensächlich zu sein, welche Inhalte man selbst im Wahlkampf vertritt. Auf diese Weise wird den Wähler/-innen signalisiert, „mein Gegenüber wäre eine noch schlechtere Wahl“. Aber gibt es dafür eine Lösung?
„Die Herrschaft der Unfähigen über die Desinteressierten.“
Als gelernter Politikwissenschafter weiß ich, dass die Grunddefinition der Politik die „Herbeiführung kollektiv verbindlicher Entscheidungen“ ist. In einem möglichst breiten gesellschaftlichen Diskurs, werden gegenseitige Positionen akkordiert und Kompromisse zur Abstimmung gebracht. Damit sollte gewährleistet sein, dass möglichst alle Bürger/-innen im Entscheidungsprozess vertreten sind. Doch der empirische Befund belegt dieses Ideal nur bedingt. Rückläufige Wahlbeteiligungen, gesellschaftliche Polarisierung und das Gefühl, die da oben wären sowieso nur an der Vergrößerung der eigenen Geldtasche interessiert.
Während meiner Studienzeit besuchte ich ein Kabarettprogramm des österreichischen Kabarettisten Alfred Dorfer. In seiner gewohnten Schärfe hat er eine vielleicht realistischere Definition der Demokratie formuliert: „Demokratie ist die Herrschaft der Unfähigen über die Desinteressierten.“ Je mehr Wahlen ins Land kommen und je rückläufiger die Wahlbeteiligung ist, desto mehr entspricht dieser Befund der Realität. Doch leider manifestiert sich unsere Problematik nicht nur in rückläufigen Wahlbeteiligungen.
Wird noch diskutiert?
Die Frage, die ich mir persönlich bei fast allen Konfrontationen stelle, ist, ob überhaupt noch inhaltlich diskutiert wird. Es wirkt doch eher so, als ob jede/r Kandidat/-in sich mit einem Aktenkoffer an Fehlern und Zitaten des Gegenübers an den Tisch setzt und versucht, diese bei jeder Gelegenheit ins Spiel zu bringen. Und wenn diese Taktik keinen Erfolg verspricht, wird unterbrochen, dazwischen geredet und versucht, rhetorische Tricks, die wir von Konflikten aus dem Kindergarten kennen, anzuwenden. Die Folge: Die Zuseher/-innen schalten ab und als Wähler/-innen verlieren sie das Vertrauen in ihre demokratischen Volksvertreter/-innen. Und in diesem Klima transportieren Populisten dann einfache, heilbringende Botschaften, die viele verstehen, die zuvor ihr Fernsehgerät abgeschaltet haben.
Fazit: Demokratiereform notwendig?
Dass frei nach Winston Churchill Demokratie die schlechteste Regierungsform mit Ausnahme aller anderen ist, muss aber kein dauerhafter Zustand sein. Vielleicht können ein paar Reformen helfen. Auf der einen Seite müsste man wohl über die Wiedereinführung der Wahlpflicht diskutieren. Denn das Wahlrecht ist nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch jene Verantwortung, die wir als Staatsbürger/-innen wahrnehmen müssen. Doch wird hier der Einwand folgen, dass doch von den aktuellen Kandidat/-innen fast niemand mehr gewählt werden kann. Wir bräuchten also einen effektiven Mechanismus, der politischen Protest mit der Qualität der Kandidat/-innen verbinden könnte. Vielleicht wäre ein Vorschlag, demokratische Wahlen unter einer bestimmten Wahlbeteiligung als ungültig zu werten. Üblicherweise stehen bei diesbezüglichen Vorschlägen jedenfalls 50 Prozent im Raum. Ich wäre fast für eine Beteiligungsuntergrenze von zwei Drittel. Denn wenn wir wieder wählen gehen müssen, sollte die Ungültigkeitsoption einen Einfluss haben, der über die Symbolwirkung hinausgeht. Dann könnten die Wähler/-innen politischen Protest effektiv formulieren. In den USA wären die kommenden Wahlen dann vermutlich ungültig und in Österreich? Vielleicht auch …