„Wir befinden uns im Jahr 2016 nach Christus. Ganz Europa ist bereit, das Handelsabkommen CETA zu unterzeichnen. Ganz Europa? Nein! Eine kleine Region unbeugsamer Wallonen im Süden Brüssels bietet Widerstand. Das sind 0,7 Prozent der Bevölkerung der Europäischen Union. Die kanadischen Partner/-innen verzweifeln und resignieren sogar vorerst, denn sie sagten ihre Reise nach Europa ab.“
Diese Geschichte klingt fast so, als wäre sie einem Asterix-Comic entnommen. Doch was sich dramaturgisch nach einem Märchen anhört, ist Realität.
Der Zankapfel CETA!
Wallonien ist die südliche Region des Königreichs Belgien, in der etwa 3,6 Millionen Menschen leben. Traditionell ist diese Region von schwerer Industrie geprägt, einem allgemein niedrigeren Bildungsstand und von der Angst, vom heute reicheren Flandern überflügelt zu werden. Bisher durfte immer davon ausgegangen werden, dass die Ablehnung CETAs innenpolitisch motiviert sei. Wallonien möchte mehr Zuschüsse im Zuge des belgischen Finanzausgleichs.
Doch mittlerweile dominieren ernsthafte Bedenken gegen CETA. Und wie bei fast allen Gegner/-innen dieses Handelsabkommens, sind es die Schiedsgerichte, die im Streitfall rechtsverbindlich zwischen Staaten und Unternehmen eine Entscheidung treffen sollen. Dass damit die Rechtsstaatlichkeit zugunsten der Unternehmen ausgehebelt wird, ist die vorrangige Sorge.
Kompromisse helfen nicht!
Was diesen Konflikt von einem „gewöhnlichen“ politischen Konflikt unterscheidet, ist die Kompromissfindung. Denn es gibt keine. Bisher sind politische Konflikte derart gestaltet, dass es zwei diametrale Auffassungen gab und ein Kompromiss in der Mitte gefunden wurde. Doch das funktioniert bei einer binären Bewertung der Situation nicht mehr. Es gibt nur „Null“ oder „Eins“. Es geht um die Akzeptanz von Schiedsgerichten für den Investitionsschutz, oder deren Ablehnung. Schiedsgerichte können eben nicht ein bisserl installiert werden.
Wallonien hat das erkannt. Es gibt sich nicht mit einem Beipackzettel wie die österreichische Regierung zufrieden. Das Abkommen ist seit September 2014 ausgehandelt und paktiert. Ernstgemeinte Änderungen bedürfen einer Nachverhandlung des Abkommens. Was prominente Gegner/-innen fordern, macht Wallonien zur Bedingung. Neu verhandeln! Dass diese kleine Region eine derartige Bedeutung hat, liegt in der belgischen Verfassung begründet. Alle drei Regionen Belgiens (Anm. d. Red.: Flandern, Brüssel Stadt und Wallonien) müssen einem derartigen Abkommen zustimmen.
Fazit: Freihandel, quo vadis?
CETA scheint geplatzt zu sein, zumindest vorerst. Denn beide Seiten haben die Hoffnung, zu einem späteren Zeitpunkt einen positiven Abschluss zu erreichen. Aufgeschoben ist also nicht aufgehoben. Nachdem dieses Abkommen fünf Jahre lang verhandelt wurde, werden ein paar Wochen oder sogar Monate mehr das Kraut nicht fett machen. Doch offenbart sich in diesem Abkommen ein systemisches Problem der Europäischen Union: Mehrheitsbeschlüsse sind in diesen Fragen nicht möglich. Es muss Einstimmigkeit erzielt werden. Europa ist, entgegen der Auffassung mancher Rechtspopulisten in diesen Fragen, strikt föderal und nicht zentralistisch organisiert. Die Letztentscheidung liegt also bei den nationalen Parlamenten. Aus rechtsstaatlicher Perspektive mag das dieses Mal von Vorteil gewesen sein, doch für ein gemeinsames Europa wirkt das eher kontraproduktiv. Wie sagte Winston Churchill? „Demokratie ist die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen.“ Hat Europa also generell ein Demokratieproblem … ?