Ist die Schulglocke notwendig?

Wecker
Quelle: https://pixabay.com/de/uhr-wecker-glocke-zifferblatt-651111/, 11.10.2016

Seit vielen, vielen Jahren ist sie das Kennzeichen dafür, dass eine Schulstunde beendet ist. Das unverwechselbare Signal, nachdem sich alle Schüler/-innen sehnen, es sei denn, sie schreiben gerade eine Schularbeit. Als Schüler/-innen haben wir alle darauf gewartet. Bereits heute gibt es Schulen, die auf eine klassische Schulglocke verzichten und einen anderen Signalton gewählt haben. Der Grund: Die klassische Schulglocke löst negative Emotionen sowohl bei den Lehrer/-innen als auch bei den Schüler/-innen. Aber benötigt man überhaupt eine Schulglocke oder gibt es alternative Modelle? Mein erster Impuls ist, dass wir im heutigen System, das Schulstunde an Schulstunde reiht keinesfalls auf die Schulglocke verzichten können. Über alternative Szenarien darf jedoch nachgedacht werden …

Takt statt Task?

Nach längerem Überlegen könnte man zum Ergebnis kommen, die Schulglocke ist Ausdruck eines Taktes; eines Arbeitstaktes, der streng begrenzt auf 50 Minuten eher an die Arbeitskultur in einer Fabrik erinnert (dort sind die Takte nur wesentlich kleiner). Diese Parallele überrascht nicht, denn das heutige Schulsystem war durch die industrielle Revolution inspiriert und Zeittakte erhöhen die programmatische Effizienz. Aber vielleicht verhindern sie eine differenzierte und kritische Auseinandersetzung mit dem Stoff?

In der heutigen Arbeitswelt erwartet der/die Chef/-in, dass man erst nach Hause geht, wenn die jeweilige Aufgabe (Task) erledigt ist. Daher auch die ganzen Überstundenpauschalen in den Arbeitsverträgen. Auf die Schule umgelegt würde das bedeuten, dass eine Schulstunde erst als beendet gilt, wenn die Schüler/-innen entweder den Stoff verstanden oder die jeweilige Aufgabe beendet haben. Unweigerlich würde das bedeuten, dass manche Schulstunden länger, andere kürzer ausfielen. Wenn man mehrere Klassen und ihre Lehrer/-innen koordinieren muss, ist das spätestens jetzt schwierig.

Trotzdem soll man darüber nachdenken!

Glühbirne
Quelle: https://pixabay.com/de/glühbirne-idee-überlegen-wissen-1002783/, 11.10.2016

Wenn wir die Schulglocke abschaffen wollen, dann ist das eine systemische Frage. Zunächst bedeutet die Verbannung der Schulglocke die Abkehr von der getakteten Schulstunde, was einer kompletten Neuorganisation bedürfe. Das würde bedeuten, dass man a priori themenbezogen und nicht mehr zeitbezogen arbeitet. In einem Interview um die Jahreswende sprach sich Hermann Morgenbesser (BG Klosterneuburg) für eine themenbezogene Schule aus. Doch ich bin ehrlich. Wie das im aktuellen Schulsystem für alle Schulen realisiert werden kann, weiß ich nicht - zumindest nicht flächendeckend. Wenn aber die klassische Schulstunde auf eine Input-Session von 15 Minuten konzentriert wird (Anm. d. Red.: Die Lehrkraft gibt 12 Schüler/-innen einen persönlichen Input mit einem Ziel und einer Aufgabe) und die Schüler/-innen anschließend in Eigenverantwortung mit ständigem Feedback der Lehrkraft recherchieren, würde die Schulglocke obsolet werden. Nicht realisierbar? Die Freie-Schule-Anne-Sophie in Künzelsau (Anm. d. Red.: in der Nähe von Stuttgart) lebt dieses Prinzip bereits seit einigen Jahren erfolgreich.

Fazit: Eigenverantwortung & themenbezogen statt fremdgesteuert & Zeittakt!

Ein System ohne Schulglocke würde vielleicht nur in einer themenbezogenen Schule, die die Eigenverantwortung der Schüler/-innen hochhält funktionieren. Im derzeitigen System der Zeittakte ist dieses Unterfangen nicht machbar. Aber auf diesen Seiten fragen wir uns, wie Schule heute idealerweise aussehen könnte. Als Denkanstoss! Wenn Bildung dahin geleitet wird, dass wir themenbezogen (nicht zeit- oder strikt fächerbezogen) arbeiten, sind wir ein deutliches Stück näher an der Realität, für die wir unsere Kinder eigentlich vorbereiten wollen. Aber für die Umsetzung bedarf es viel, viel mehr …