Das neue Schuljahr bringt einige Veränderungen mit sich. Die aus meiner Sicht interessanteste Neuerung ist die veränderte Beurteilung in den ersten drei Schulstufen. Für die Schüler/-innen selbst mag diese Änderung nicht so sehr ins Gewicht fallen, für die Eltern bedeutet sie einen regelrechten Paradigmenwechsel. Dem seit September gültigen Schulrechtsänderungsgesetz folgend, soll im Klassenforum über die Form der Beurteilung demokratisch abgestimmt werden. Trifft der Fall der Stimmengleichheit ein, entscheidet die Stimme der Klassenlehrerin/des Klassenlehrers. Nähern wir uns mit dieser Maßnahme einer realitätsnäheren Beurteilung an, oder sind die Mauern der Noten in unserem Bewusstsein zu hoch?
1. Unsere Jüngsten müssen sich selbst verstehen!
Gehen wir einmal zum Ausgangspunkt der Beurteilung zurück: Wieso beurteilen wir überhaupt? Viele glauben, dass die Beurteilung ein objektiviertes Messinstrument der Leistungen unserer Jüngsten ist. Ich sage deswegen bewusst objektiviert, weil es in diesem Fall keine Objektivität geben kann. Heinz von Foerster sagte einmal: „Objektivität ist die Illusion Beobachtungen ohne Beobachter machen zu können.“ (http://nina.ort.userweb.mwn.de/Foerster.html, 06.09.2016)Also das Argument der Objektivität lassen wir nicht gelten.
Beurteilungsformen sollen den Kindern beibringen, sich selbst besser beurteilen zu können. Das funktioniert mal besser und mal schlechter. Es funktioniert vor allem dann nicht, wenn die Beurteilungsform zu abstrakt ist und das Verständnis dafür fehlt. Wenn aber die Kinder in einen Dialog mit der Lehrkraft treten und verstehen, was sie besonders gut oder weniger gut gemacht haben und, wie sie es verbessern können, rücken wir einem Verständnis näher. Denn etwas haben Noten immer mit sich gebracht: Sie werteten, waren aber wenig konstruktiv, bzw. wurden konstruktive Vorschläge der Lehrkraft von den Noten überstrahlt.
2. Das gesprochene Wort ist mächtig!
Wenn sich das Klassenforum für eine verbale Beurteilung entscheidet, sollte die Wortwahl sehr genau bedacht werden. Wertend mit objektivierten Ausdrücken wie „befriedigend“, „mangelhaft“ oder „sehr gut“ sollte nicht vorgegangen werden. Das wäre genauso kontraproduktiv wie Noten. Es geht immer um Verbesserungsvorschläge, welche die individuellen Stärken und Schwächen des Kindes berücksichtigen. Das Kind wird sozusagen als lernende Entität verstanden, die bei der Entfaltung konstruktiv begleitet wird. Gelingt das, gelingen auch alternative Beurteilungsformen.
3. Mehraufwand für die Lehrer/-innen?
Auch diese Frage möchte ich anders beantworten. Selbstverständlich kommt es gerade in der Anfangsphase zu einem spürbaren Mehraufwand für das Lehrpersonal. Aber umgekehrt sehe ich wieder die immensen Vorteile. Eine konstruktive, verbale Beurteilung bedingt, dass sich die Lehrkraft jedenfalls detaillierter mit dem Kind auseinandersetzen und es begleiten muss. Die Bindung zwischen den Schüler/-innen und den Lehrer/-innen, die gerade in der Volksschule einen wesentlichen Beitrag zum Schulerfolg hat, ist damit gestärkt. Ganz abgesehen davon, dass die genauere Auseinandersetzung mit den Kindern Herausforderungen schneller sichtbar macht.
Fazit: Auf das „wie“ kommt es an!
Verbale Beurteilungen werden schon seit längerer Zeit heiß diskutiert. Vor allem in den ersten drei Schulstufen ist eine Beurteilung mit Ziffernnoten meist zu abstrakt. Wenn mehr konstruktiv statt wertend beurteilt wird, haben verbale Beurteilungen eine echte Chance auf Erfolg. Ich weiß, viele Erwachsene werden jetzt sagen, dass wir unsere Kinder mit Noten besser auf die Leistungsgesellschaft vorbereiten. Aber ist dem wirklich so? Bekommen wir Erwachsenen Noten oder ein Gehalt? Und was sind Mitarbeitergespräche? Eine Form der verbalen Beurteilung. Also es kommt immer darauf an, wie etwas gemacht wird. Wertend und objektiviert sollte nicht vorgegangen werden, konstruktiv und die individuellen Stärken und Schwächen berücksichtigend schon. Wenn die Kinder die Beurteilung tatsächlich verstehen, verstehen sie leichter, wie sie sich verbessern können und das entspricht zu 100 Prozent dem Gedanken der Leistungsgesellschaft …