Diese Frage ist nicht mehr nur eine rein pädagogische. Sie muss weiter verstanden werden. Längerfristig handelt es sich um eine standortpolitische Frage. Ein Klima der Innovation zieht Technologieunternehmen an, aber dazu gehört, dass der Arbeitsmarkt entsprechend vorbereitet ist. Unsere Kinder müssen daher über die geforderten digitalen Kompetenzen verfügen, um für diese Technologieunternehmen interessant zu sein. Zu Beginn des neuen Schuljahres frage ich mich, welcher Befund kann über das aktuelle Bildungssystem in Österreich hinsichtlich der digitalen Kompetenzen gefällt werden? An welchen Schrauben müssen wir noch drehen?
Digitale Lernmaterialen sind vorhanden!
Zunächst wäre die Frage zu klären, ob wir bereits heute über genügend digitale Lernmaterialien verfügen. Wenn ich an Portale wie LearningResourceExchange for Schools, Scientix und OpenDiscoverySpace denke, um nur drei zu nennen, fällt es mir schwer zu glauben, dass eine Lehrkraft nicht fündig würde. Allein in diesen drei Portalen finden sich fast eine halbe Million Inhalte. Auch die Europäische Kommission bedenkt bei der Vergabe von Projektförderungen im Bildungsbereich, dass bereits genügend Inhaltsportale existieren. Auch rein österreichische Lernmaterialen lassen sich über die Gegenstandsportale zu allen Fächern leicht finden.
Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied zu den Schulbüchern: Die Lehrkraft selbst muss diese Inhalte für ihren Unterricht zusammensuchen. Was auf den ersten Blick nach Mehrarbeit klingt, entpuppt sich allerdings als große Chance. Jede Lehrkraft kann entsprechend ihrer Unterrichtsgestaltung und ihrer Vorlieben die Unterrichtsmaterialien individuell und Baukasten-gleich zusammenstellen. Nichts muss neu entwickelt sondern einfach nur genutzt werden.
Die Nutzung neuer Medien ist eigentlich verpflichtend!
Die Lehrpläne gehören entrümpelt. Darüber sind wir uns alle einig. Aber in fast allen ist die mehrfache und regelmäßige Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien vorgeschrieben. Dieser Passus wird leider nicht so ernst genommen. Vermutlich deswegen, weil es kaum ein Schulbuch gibt, dass diese Nutzung vorschreibt. Denn wir dürfen eines nicht vergessen: Approbierte Schulbücher erfüllen sehr oft die Rolle des „Ersatzlehrplans“. Einige Lehrer/-innen kennen aus den unterschiedlichsten Gründen den Lehrplan ihres Faches nicht genau und verwenden das Buch als Ersatz. Decken sie das Buch ab, decken sie den Lehrplan ab. Wenn aber digitale Unterrichtsmaterialien regelmäßig in den Schulalltag fließen sollen, bedarf es hier eines entscheidenden Wandels.
Passt der Fächerkanon?
Diese Frage ist beinahe so alt wie jede Debatte zu einer Bildungsreform. Natürlich hat sich unsere Lebensumwelt geändert. Wir sind schneller, digitaler, vernetzter und benötigen gestärkte soziale Kompetenzen in einer Welt, in der wir vielleicht mehr als früher zusammenarbeiten müssen. Geschulte soziale Kompetenzen sind daher für Betriebe genauso wichtig wie digitale. Vielleicht sollten wir ideologiefrei über neue Fächer diskutieren. Sollten Dinge wie Kreativität, Entrepreneurship oder Kommunikation nicht wesentlich stärker in den Fächerkanon integriert werden?
Fazit: Das Potenzial muss genutzt werden!
Aus meiner Sicht muss die digitale Revolution von zwei Seiten gleichzeitig angegangen werden, damit sie in der Schule erfolgreich ist. Das bedeutet aber nicht, dass sich eine Seite zurücklehnt, sollte die andere inaktiv bleiben. Einerseits müssen die Lehrer/-innen ihre Führungsrolle im digitalen Zeitalter verantwortungsvoll wahrnehmen. Die Kinder den neuen Medien selbst zu überlassen ist heutzutage absolut verantwortungslos. Daher sollten die neuen Medien in den Unterricht eingebunden werden. Die Schüler/-innen verwenden sie sowieso. In der Schule könnte der verantwortungsvolle Umgang geschult werden. Auf der Ebene des Staates muss man sich schnell über eine ernsthafte Bildungsreform unterhalten. Diese umfasst eben nicht nur das Lehrer/-innen-Dienstrecht, sondern die Unterrichtsmethoden, die Ausbildung und den Fächerkanon. Es bleibt viel zu tun …