Ich will mich äußern. Ich muss mich äußern. Mich äußern zu der ständigen Negativität, die verbreitet wird, zum ständigen Hass und zur Antithese eines friedlichen Miteinanders. Die gesellschaftliche Stigmatisierung von ganzen Gruppen wurde wieder salonfähig und offener Hass darf ohne Konsequenzen lautstark kommuniziert werden. Mir bereitet unsere Gesellschaft immer mehr Kopfzerbrechen. Nicht nur, weil ich von einem moralischen Standpunkt aus argumentiere, sondern weil wir uns langsam Gedanken machen sollten, in welchem Klima unsere Kinder aufwachsen. Oft spreche ich von moderner Pädagogik und selbstbestimmten Schüler/-innen. Doch es wird ihnen ein Gesellschaftsbild des Hasses und der Intoleranz vorgelebt. Und mitten in diesem Klima, werden rechte Parteien und Kandidat/-innen wieder mehrheitsfähig …
Wir haben VIEL geschafft!
Politischer Protest gegen aktuelle Mehrheiten kristallisiert sich an einem Satz, den die deutsche Bundeskanzlerin vor einem Jahr sagte: „Wir schaffen das!“ Doch fast täglich lese ich von einer drohenden Überforderung des Systems und Maßnahmen der Abschottung. Um der Diskussion eine gewisse Perspektive zu geben: Seit Anfang März haben sich lediglich ein paar Flüchtlinge aus medizinischen Gründen im „Grenzmanagementsystem“ in Spielberg verlaufen. Mehr auch nicht. Und geschafft haben wir viel!
Wir haben es geschafft, dass innerhalb kurzer Zeit Gesetzesvorschläge umgesetzt wurden, die einen anti-humanitären Ansatz erlauben. Wir haben es in der kurzen Zeit geschafft, dass politische Dummheit an den rechten Rändern der Gesellschaft ins Zentrum rücken. Wir haben es geschafft, dass ein Präsidentschaftskandidat (und dessen Partei) grundlegende Menschenrechte aushebeln will, aber einen anderen Mitbewerber als „faschistischen Diktator“ bezeichnet hat.
Der Geist der Menschlichkeit!
Als die ersten Flüchtlingsströme nach Deutschland durchgewinkt wurden, standen die Menschen zurecht als Zeichen der Menschlichkeit an den Bahnhöfen und haben nach ihren Möglichkeiten geholfen. Damals war ich stolz auf dieses Land und machte mir wenig Gedanken darüber, in welchem Klima mein Kind einmal aufwachsen wird. Doch ein Jahr später? Dieser Zauber ist verflogen! Hass und Angst regieren unsere Gesellschaft und was ich teilweise in den sozialen Netzwerken lese, erschreckt mich zutiefst. Und wie unreflektiert und dumm viele Menschen darauf einsteigen, spottet jeder Intelligenz.
Der Geist der Menschlichkeit wäre mit der Machtergreifung rechter Parteien (und eines rechten Präsidentschaftskandidaten) gestorben. Mich interessiert nicht, dass die Dinge oft nicht so heiß gegessen, wie gekocht werden. Wenn ein Wolf im Schafspelz im Fernsehen erklärt, „sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist“, wird mir Angst und Bang. Wenn dessen Parteichef auf ein Stelldichein rechter Vertreter/-innen (Frauke Petry (AfD) und Marine LePen (Front National)) aus ist und mehrheitsfähig wird, zweifle ich offen an der Lernfähigkeit unserer Gesellschaft aus der Geschichte - und ich bin in meinen Dreißigern.
Genug!
Genug von diesem Schwachsinn. Genug davon, dass Wähler/-innen politischen Protest mit Instrumentalisierung verwechseln. Genug davon, dass es „okay“ ist, Hass zu formulieren. Denn dieser hat mit den berechtigten Sorgen der Menschen nichts zu tun. Das Eine sind tatsächliche Sorgen, die in einem politischen Dialog zumeist beseitigt werden können. Das Andere sind geschürte Ängste jener politischen Gruppierungen, die ihre Stunde gekommen sehen. Doch wir werden das nicht erlauben! Wir werden uns an die vielen Jahrhunderte demokratischer Entwicklung und die Unterdrückung durch totalitäre Machthaber erinnern. Wir glauben, dass der Minderheitenschutz und der gepflegte Umgangston in jeder Gesellschaft zwingend notwendig für ein friedliches Miteinander sind. Denn sonst fangen wir an, uns gegenseitig zu bekämpfen …