Wir scheinen uns nur noch mit einem Thema zu beschäftigen: Der Vollverschleierung! Wenn ich die Medienberichterstattung der letzten Zeit beobachte, komme ich fast zum Schluss, wir hätten nur noch die Sorge, ob wir die Burka tolerieren oder verbieten sollen. Angetrieben von einem jungen Politiker, dessen Themensetzung so an der Realität vorbeigeht, wie ein Science Fiction Roman auf einem Bücherregal. Es geht nämlich nicht darum, ob wir eine Vollverschleierung per se gut finden - ich glaube, da haben wir alle eine recht westliche Meinung - sondern um Stimmungsmache gegen andersdenkende Menschen. Und das ist politisch so weit rechts, dass mir vor unserem Außenminister ekelt.
Ablenkung aus Unfähigkeit?
Bevor wir die Probleme der heutigen Zeit seitens der Regierung in einem Klima der Konstruktivität zu lösen versuchen, lenken wir lieber mit populistischen Themen zur Gewinnung von Wähler/-innen ab. Doch mehr als Frauen in Vollverschleierung stören sich die Wähler/-innen an der Tatsache, dass mutwillige Passivität den Arbeitsstil mancher Regierungsmitglieder prägt. Hat denn unser Außenminister schon substanziell etwas Positives zur Entwicklung unseres Landes beigetragen? Okay, eine Studie zu islamischen Kindergärten machte die Runde. Als Gastgeber zu den Verhandlungen mit dem Iran wirkte er hingegen wie ein Schulkind, das seine Klasse während eines Ausflugs verloren hat. Wirklich aufgefallen ist mir nur, dass er seinem Interviewpartner kaum in die Augen schauen kann. Nach kurzer Zeit senkt sich sein Blick zur Mitte der Gesprächspartnerin/des Gesprächspartners, als ob dort die Antworten zu den eben gestellten Fragen zu finden wären.
Reden wir über die Bildung!
Denn anhand dieses Themas kristallisiert sich so viel, was falsch läuft. Wir leben in einer rassistisch motivierten Gesellschaft, wenn Kindern mit Migrationshintergrund noch immer nicht die selben Bildungsmöglichkeiten eröffnet werden. Viel zu schnell stören sich Menschen daran, welches Kleidungsstück den Kopf eines intelligenten jungen Mädchens bedeckt. Ist das Ende des Pflichtschulalters erreicht, sind die Möglichkeiten dieses Mädchens nicht mehr dieselben, wie für andere Schüler/-innen. Darüber spricht man nicht gerne. Vor dem Gesetz sind wir ja alle gleich, aber es sind Menschen, die diese Regeln interpretieren.
Mir bereitet dieser Umstand wesentlich mehr Sorgen, denn so verhindert man Aufklärung bei manchen Gesellschaftsgruppen. Natürlich gibt es viele Ausnahmen des eben beschriebenen Szenarios, aber selbst diese Ausnahmen werden ihnen mitteilen, dass es für sie schon schwerer war. Und wenn dann auch noch über das Burka-Verbot als Ablenkungsmanöver gesprochen wird, dann haben gewisse Volksvertreter mit der Realität von uns Menschen ungefähr so viel zu tun, wie ich mit der Entwicklung der Relativitätstheorie.
Fazit: Stimmungsmache für nichts!
Natürlich bin ich dagegen, dass Frauen Burkas tragen. Natürlich bin ich der Auffassung, dass es nicht zum Geist einer offenen Gesellschaft passt, wenn sich Menschen verhüllen (Anmerkung: Das gilt auch für Kapuzenträger/-innen in der U-Bahn). Darüber erzielen wir schnell Einigkeit. Aber bevor wir uns mit dieser Frage beschäftigen, sollten wir die wirklich virulenten Probleme unserer Gesellschaft angehen: (Jugend)Arbeitslosigkeit, Perspektivenverlust, die wirtschaftliche Gleichstellung der Frauen (Stichwort Gehälter), die Altenpflege oder die Bildung. Die Frage, ob ich dann vollverschleierte Frauen auf der Straße toleriere, steht ca. auf Platz 43 und Politiker/-innen, die das nicht verstehen, haben vielleicht ihren Job nicht verstanden …