Wir verstehen unter Narzissmus gemeinhin Eigenliebe oder Selbstverliebtheit, obwohl es da mehrere Varianten gibt. In der Erziehung sind wir uns dieses Musters gar nicht bewusst und versuchen nur, selbstbewusste, junge Menschen heranzuziehen. Dass Egozentrizität, Empfindlichkeit, Empathiemangel und Entwertung in unterschiedlicher Dominanz zu vier unterschiedlichen Formen des Narzissmus führt (Haller 2013), entscheidet aber darüber, ob wir einerseits Menschen mit einem gesunden Selbstbewusstsein erziehen oder, ob wir endgültig zu einer egomanen Gesellschaft beitragen, die zwar die Teilhabe an der selbigen ermöglicht, aber nicht mehr fähig ist, auf die Mitmenschen ehrlich einzugehen. Im folgenden Artikel beschäftige ich mich inspiriert von Reinhard Hallers „Narzissmusfalle“ (2013) mit narzisstischen Mustern in der Erziehung unserer Jüngsten.
1. Das sensible Gleichgewicht!
Selbstvertrauen und Egoismus, Einfühlungsvermögen und Rücksichtslosigkeit, Sensibilität und Gekränktheit (Haller 2013) beschreiben den schmalen Grat, auf dem sich Narzissmus bewegt. Abhängig davon, welche der vier eingangs genannten Wesenszüge dominieren, unterscheiden wir unterschiedliche Formen des Narzissmus bis hin zu jener, die Massenmördern gemein ist. Wichtig zu bedenken ist, dass entwicklungspsychologisch jeder Mensch diese Phasen durchmachen muss, um das Gleichgewicht zu finden.
Aber was bedeutet es, wenn es Lehrer/-innen nicht gelingen sollte, ein entsprechendes Gleichgewicht zu wahren? Wenn Selbstbewusstsein mit Eigenliebe verwechselt wird und in einer sozialen Ellenbogentaktik endet, ist das soziale Gefüge einer Lerngemeinschaft nicht mehr konstruktiv und Formen des kollaborativen Lernens ineffektiv. Diese Schüler/-innen bringen das Gefüge in Ungleichgewicht und die Lehrkraft hat alle Hände voll zu tun, dieses wieder auszubalancieren.
2. Die Rolle neuer Technologien!
Über diese Frage wurde vermutlich noch nicht eingehend in diesem Zusammenhang nachgedacht, aber welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang neue Medien? Vielleicht eine potenziell bessere als viele glauben. Natürlich kann mit der Aktualität und der Marke von Geräten Status erzeugt werden. Aber nachdem andere Formen der Kommunikation möglich sind, können auch verschiedene Lösungswege eingeschlagen werden. Ein Beispiel: Wenn ein Schüler in der Klasse seinem Geltungsbedürfnis derart frönen muss, dass er seinen Mitschüler/-innen kaum noch Platz zur Entfaltung lässt, kann die Lehrkraft die Kommunikation über eine bestimmte Fragestellung als Hausaufgabe in den virtuellen Raum verlagern.
Dort werden zunächst die Voraussetzungen der Kommunikation nivelliert und alle Schüler/-innen können etwas beitragen. Plötzlich beteiligen sich jene Schüler/-innen an der Kommunikation (= Mitarbeit), die vorher übergangen wurden. Das schränkt nicht nur die „Raumforderung“ des Narzissten ein, es gibt auch den anderen Schüler/-innen Raum zur Entfaltung und verhindert, dass sie ein zu großes Geltungsbedürfnis entwickeln. Neue Technologien können hier also gegensteuern, vorausgesetzt, sie werden entsprechend eingesetzt. Und wieder hat die Lehrkraft alle Hände voll zu tun.
3. Von Expert/-innen zu sensiblen Lernbegleitern und Psycholog/-innen!
Dass sich die Rolle der Lehrer/-innen im Laufe der Zeit verändert hat, habe ich bereits mehrfach in diesem Blog festgehalten. Aber die Lehrkraft wird nicht unwichtiger, sondern gewinnt an Bedeutung. Allein, dass die vorherrschenden Mechanismen einer Klasse halbwegs durchschaut werden, bedarf viel Arbeit. Mir ist bewusst, dass diese Entwicklung vielen Lehrer/-innen missfallen wird, aber Expert/-innen im klassischen Sinn sind sie längst nicht mehr. Das Internet hat die Rolle des allwissenden Wesens für kleine Kinder übernommen. Die Lehrkraft verlagert sich primär auf die Lernbegleitung und die Rolle der psychologisch geschulten Kraft.
Natürlich bedarf das einer abgeänderten Ausbildung für unsere Lehrer/-innen mit neuen Schwerpunkten, denn ist dies nicht der Fall, können die beschriebenen Muster nicht effizient erkannt werden und wir „unterstützen“ vielleicht sogar krankhaften Narzissmus. Selbstredend muss auch das zeitliche Kontingent der Lehrer/-innen-Arbeitszeit überdacht werden, was sicherlich politische Diskussionen auslösen wird.
Fazit: Ich passe jedenfalls auf!
Als Elternteil muss ich darauf aufpassen, nicht egozentrische Muster und Eigenliebe zu erziehen und ständig darauf bedacht sein, nicht selbst in diese Muster zu verfallen, denn eines ist naheliebend: Unsere Kinder lernen am effektivsten durch Nachahmung! Neue Medien können die Lehrkräfte dabei unterstützen, Ungleichgewichte im Klassenraum auszubalancieren und „schwächere“ Teilhaber/-innen der Klasse einzubinden. Dabei ist die veränderte Rolle der Lehrer/-innen frappierend: Als Eltern können wir sie nur unterstützen. Sie müssen ein möglichst vollständiges Bild der Klasse haben, um pädagogisch effektiv eingreifen zu können. Das ist schwierig genug und vielleicht sollte das vielzitierte Lehrer/-innen Bashing endlich aufhören. Wenn es um den Narzissmus geht, sind viele Faktoren entscheidend: Schlechte Einflüsse von unseren Jüngsten fernzuhalten ist das Eine. Sie zu den Stars ihrer Leben zu machen, das Andere. Jedenfalls sollten Selbstreflexion und Eigenkritik gelebt werden und es fängt bei uns Erwachsenen an …