Der Verfassungsgerichtshof gibt die Richtung vor!

Fassade des Verfassungsgerichtshofs
Quelle: https://www.vfgh.gv.at/cms/vfgh-site/images/pressefotos/vfgh_gebaeude1.jpg

Die Wahlanfechtung zur Präsidentschaftswahl liegt bereits einige Zeit zurück, auch die Entscheidung des VfGH zur Neuaustragung. Die Wogen haben sich geglättet und die Wahlkämpfe der beiden Kontrahenten laufen bereits auf Hochtouren. Gesitteter, weniger polarisierend und vernünftiger dürfte es kaum zugehen, aber dieses Kalkül wurde von den Verfassungsrichter/-innen in Kauf genommen. Sie haben die Verfassung interpretiert, nicht ausgelegt. Ob sie der Republik damit einen Bärendienst erwiesen haben, wird sich zeigen. Doch unumstritten ist diese Entscheidung nicht - weder historisch noch dem Buchstaben der Verfassung nach.

1. „Die Wahl war aufzuheben!“

Damit wir wissen, worüber wir genau reden zitiere ich Artikel 141 der Bundesverfassung nochmal:

„ […] Der Verfassungsgerichtshof hat einer Wahlanfechtung stattzugeben, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit eines Wahlverfahrens erwiesen wurde und auf das Wahlergebnis von Einfluss war. […]“

Die Verfassungsrichter haben mit beispielloser Anstrengung Rechtswidrigkeiten im Wahlverfahren feststellen können. Aber sie wurden nicht müde zu betonen, dass es keine Anzeichen für Manipulationen gegeben hat. In seiner Erklärung hat der Präsident des VfGH festgehalten, dass diese Rechtswidrigkeiten aber einen Einfluss haben konnten, und das genüge. Dem Wortlaut der Verfassung nach genügt das aber nicht, denn es wird nicht im Konjunktiv formuliert. Vielmehr sind bestätigte Fakten festzustellen.

In seiner Erklärung hat der VfGH weiter festgehalten, dass man sich an einer Entscheidung aus dem Jahr 1927 orientiert, in der eine Bundeswahl aufgehoben und neu ausgetragen wurde. Und jetzt kommt der Moment, wo der sprichwörtliche Affe ins Wasser springt:

2. Fehlinterpretation der Geschichte!

Richtig ist, dass damals eine Bundeswahl aufgrund von Unregelmäßigkeiten aufgehoben wurde. In der Begründung von damals wurde festgehalten, dass diese Unregelmäßigkeiten einen Einfluss hätten haben können. Diese Formulierung wurde auch dieses Mal gewählt und offenbar glaubte man, dass man hier stringent entscheiden würde. Aber im Vergleich zu damals gibt es einen wesentlichen und entscheidenden Unterschied:

Die Wahlgesetze waren zur damaligen Zeit nicht im Verfassungsrang. Heute stehen die Wahlgesetze im Verfassungsrang und sind vom VfGH auszulegen, nicht zu interpretieren. Das bedeutet im Umkehrschluss eigentlich, dass sich der Verfassungsgerichtshof penibel an den Wortlaut der Verfassung zu halten hat und die spricht jedenfalls nicht von einem konjunktivischen Fall.

Fazit: VfGH hat die Rolle des Supreme Court übernommen!

Für unseren Wahlalltag bedeutet diese Entscheidung, dass der VfGH eine Rolle ähnlich der des Supreme Court in den USA übernommen hat, denn er hat interpretiert, nicht ausgelegt. Für künftige Entscheidungen wird sich der VfGH an dieser zu orientieren haben, was bedeutet, es könnte mehr Wahlanfechtungen geben. Spannend wird auch zu beobachten sein, ob Wahlhelfer künftig bewusst „pfuschen“, um eine Neuaustragung einer x-beliebigen Wahl zu provozieren …