Schlimm war die Zeit, als Polizeigewalt willkürlich rassistisch motiviert war. Menschen fühlten sich von der Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen, wurden von einem Parallelsystem der Justiz erfasst und beklagten dessen Ungleichheit. Es bedurfte großen Bürgerbewegungen, die von charismatischen Anführern wie Martin Luther King geleitet wurden. Geschichten wie jene der Rosa Parks, die sich in einem Bus weigerte, ihren Platz einem weißen Mitbürger zu geben, wurden Teil eines nationalen Bewusstseins, das die USA daran erinnerte, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu sein und nicht jenes, der begrenzten Unmöglichkeiten. Doch dürfen wir zu Recht in der Vergangenheit sprechen? Die letzten zwei Jahre lassen anderes vermuten …
1. Polizeigewalt scheint willkürlich zu sein!
Am 9. August 2014 war die US-Stadt Ferguson der Brennpunkt der jüngeren amerikanischen Geschichte. Unbewaffnet wurde der 18-jährige Michael Brown vom Polizisten Darren Wilson erschossen. Eine Grand Jury entschied am 4. November 2014, kein Verfahren gegen den Polizisten Wilson zu eröffnen. Der Tod von Michael Brown wurde also nicht eingehend vor Gericht geklärt, was in über 170 Städten der Vereinigten Staaten zu Protesten führte. Immer wieder wurde von afroamerikanischen Opfern von Polizeigewalt mit tödlichem Ausgang seither berichtet. Tatsächlich berichtet orf.at (http://orf.at/stories/2348640/2348459/) von fast 1.000 afroamerikanischen Toten durch Polizeigewalt in den USA seit 2014, wobei 30 Prozent der Opfer unbewaffnet waren.
Hier kann also von einem systemischen Problem ausgegangen werden. In den letzten Tagen kam es zu einer erneuten Eskalation: In Baton Rouge (Louisiana) wurde der 37-jährige CD-Verkäufer Alton Sterling auf dem Boden liegend von einem Polizeibeamten durch mehrere Schüsse erschossen und einen Tag später der 32-jährige Philando Castile in Falcon Heights (Minnesota). Castiles Freundin hat den Vorfall per Handy aufgezeichnet: Ihr Freund Philando informierte bei einer Polizeikontrolle den Beamten im Auto sitzend darüber, dass er eine Waffe trug und dafür einen Waffenschein habe. Als er zu seinem Portemonnaie greifen wollte, schoss der Beamte und verletzte Philando Castile dabei so schwer, dass dieser seinen Verletzungen erlag. Und dann kam Dallas …
2. Dallas als Ausdruck systemischer Wut!
Während einer friedlichen Parade gegen willkürliche Polizeigewalt eröffneten Heckenschützen das Feuer und schossen gezielt auf Polizeibeamte. Dabei töteten sie nicht nur fünf Polizisten, sondern auch eine Zivilistin. Ein festgenommener Attentäter sprach von Wut über die zu Tode gekommenen Schwarzen als Triebfeder seiner Taten. Diese Form der rachsüchtigen Selbstjustiz ist auf das schärfste zu Verurteilen und spiegelt aber ein systemisches Versagen wider. Afroamerikanische Bürger/-innen haben nicht mehr das Gefühl, durch das Justizsystem repräsentiert und geschützt zu sein. Wenn Schwarze durch Polizeigewalt getötet werden, müssen diese Fälle auch mit der gesamten gesetzlichen Wucht eines Rechtssystems aufgeklärt werden. Wenn aber Polizisten freigesprochen oder die Anklagen fallengelassen werden, entsteht der Eindruck der Ungleichheit vor dem Gesetz.
3. Lockere Waffengesetze führen zu Selbstjustiz!
Was für Österreicher/-innen die Wurst ist, dürfte für viele Amerikaner/-innen die Waffe sein. Schon als Kinder haben wir Filme über den wilden Westen im Fernseher gesehen und beobachteten, wie Cowboys ihre Colts bei sich trugen und Duelle als „geregelte" Form der Selbstjustiz austrugen. Dieser Gedanke scheint in den Köpfen vieler Amerikaner/-innen immanent zu sein. Jedenfalls ist der Gedanke so stark, dass bisher noch jede gut gemeinte und humanistische Reform der Waffengesetze scheiterte. Daher ist es möglich, dass Menschen Waffen bei sich tragen können und in einem wild-westlichen Gedanken zur Selbstjustiz greifen, wenn sie sich nicht mehr durch das Justizsystem geschützt sehen. Das Attentat von Dallas und die Proteste gegen die Polizeigewalt gegen Afroamerikaner/-innen ist mehr ein Ausdruck fehlenden Vertrauens in das Justizsystem der USA. Und diese Krise ist schwer. Die USA sehen sich gerne als Vorreiter einer rechtsstaatlichen Ordnung. Allerdings wird diese gerade hinterfragt.
Fazit: Alle Bürger/-innen sind gleich, aber nicht alle sind Bürger/-innen?
Es sind Gefühle der Ungleichheit in einem System, das Gleichheit propagiert. Es ist die Ohnmacht, einen Kampf zu beenden der vor langer Zeit begonnen hat. Dieser Kampf findet allerdings weniger auf den Straßen als in den Köpfen statt. Wenn noch immer Vorurteile die polizeiliche Arbeit antreiben, ist es schwer, gegen diese Mühlen als Bürger/-innen anzutreten. Viele haben das Gefühl, dass es zwei Arten von Bürger/-innen vor dem Gesetz und den Exekutivbeamten gibt. Spätestens jetzt wäre die Zeit, endlich die Waffengesetze in den USA zu verschärfen. Sind Fälle von Selbstjustiz und Amokläufen nicht genug, wenn man bedenkt, dass nirgendwo auf der Welt so viele Menschen durch Waffengewalt getötet werden, als in den USA? Doch vielleicht ist eine Reform noch dringender als jene der Waffengesetze: Die Reform des Justizsystems …