Morgen stimmen die britischen Staatsbürger/-innen über den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union ab. Diese Abstimmungen hat noch viele Unterfragen, mit denen wir uns als Europäer/-innen zu beschäftigen haben. Ich nehme hier gleich vorweg eine proeuropäische Haltung ein. Keine Institution hat in der Zeit von 1999 bis heute mehr Projekte für die europäische Bildungslandschaft gesponsert und so pädagogische Innovationen vorangetrieben. Gerade Länder mit Bildungssystemen, die bisher wenig Veränderungswillen gezeigt haben, profitierten davon am meisten. Aber was verbirgt sich hinter der „Brexit-Debatte“?
1. Ein Supranationales Gebilde!
Um zu verstehen, worüber man sich beschwert, sollte das Gebilde der EU verstanden werden. Es ist kein Bundesstaat wie die Vereinigten Staaten und kein Bund wie die vereinten Nationen. Die EU ist ein Zusammenschluss von mittlerweile 28 Nationalstaaten, die wirtschaftlich in einem gemeinsamen Binnenmarkt kooperieren und teilweise politische Befugnisse im Sinne der Subsidiarität überstaatlich abgeben. Subsidiarität bedeutet, dass politische und administrative Entscheidungen auf nationalstaatlicher Ebene gelöst werden sollen, wenn es sich als sinnvoller erweist. Ob dieses Prinzip allerdings immer eingehalten wird, darüber wird in allen politischen Lagern heiß diskutiert. Grundsätzlich muss festgestellt werden, dass die Europäische Union nichts beschließt, was die Nationalstaaten ihr nicht zuvor aufgetragen haben. Sei es die EU-Parlamentarier/-innen, die auf nationalstaatlicher Ebene gewählt werden, oder der Europäische Rat, der Entscheidungen im Allgemeinen einstimmig beschließt. Dass die Vertreter/-innen der Mitgliedsstaaten nachher Entscheidungen, die sie im Rat getroffen haben, als „böses Brüssel“ bezeichnen, mutet nahezu grotesk an.
2. Die Sorgen der Briten!
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die aktuellen Herausforderungen für alle Europäer/-innen ähnlich gestaltet sind. Wir alle kämpfen gegen eine konstant hohe Arbeitslosigkeit, gegen eine ermüdete Wirtschaft und einen beispiellosen Flüchtlingsstrom nach Europa. Großbritannien steht wirtschaftlich sogar verhältnismäßig gut da und die Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge mutet aus österreichischer oder deutscher Sicht gerade zu lächerlich an.
Entscheidender sind andere Zahlen: Über 50 Prozent der britischen Exporte landen in der Europäischen Union. Das bedeutet, dass es im Sinne Großbritanniens wäre, auf den Europäischen Binnenmarkt ohne gröbere Hindernisse zuzugreifen. Auch sollte sich Großbritannien an bestimmte europäische Regeln der Produktgestaltung halten, zumal sie ja diese Produkte in Europa absetzen wollen. Vermutlich sind die Kosten für einen nicht permanenten Zugang zum europäischen Markt wesentlich höher. Diese Aspekte werden von den „Brexit“-Befürworter/-innen tunlichst verschwiegen.
3. Weglaufen oder verändern?
Die Frage,um die es geht, ist relativ einfach. Möchte man die Europäische Union aktiv verändern und die zahlreichen Verbesserungen, die zweifellos notwendig sind, selbst gestalten oder das europäische Projekt als gescheitert bezeichnen und davon weglaufen. Ein Verlassen der Briten aus der Europäischen Union - auch „British exit“, kurz „Brexit“ genannt - könnte zu einer Kettenreaktion führen. Für Mitgliedsländer mit eindeutig nationalen Tendenzen - um nich zu sagen rechten Tendenzen - könnte ein „Brexit" als Vorbild wirken. Länder wie Ungarn oder Polen könnten folgen. Auch die FPÖ macht keinen Hehl daraus, mit der aktuellen EU wenig anfangen zu können.
Fazit: „I want my Europe back!“
Margaret Thatcher sagte einst über die Europäische Union: „I want my money back!“ Seither zahlt Großbritannien gemessen an seiner Wirtschaftsleistung und Bevölkerungszahl weniger als andere Mitgliedsländer. Ich persönlich war an etwa 20 EU-Projekten im Bereich der Bildung beteiligt. Die Innovationskraft in diesem Bereich war gewaltig und britische Firmen und Lehrer/-innen waren hier wegweisend. Auch in diesem Bereich können die Briten nicht klagen. Ich bin ein Fan eines gemeinsamen Europas, obwohl ich zahlreiche Baustellen sehe. Es fängt bei einer Solidarität a la carte an. Während der Flüchtlingskrise des letzten Jahres haben sich zahlreiche EU-Staaten aus ihrer europäischen Solidarität verabschiedet. Gleichzeitig handelt es sich hierbei oft um Netto-Empfänger-Staaten (Anm. d. Red.: Sie erhalten mehr Gelder aus der Europäischen Union, als sie einzahlen.).
Mein Europa ist ein Friedensprojekt, das in den Nachwehen des zweiten Weltkriegs entworfen wurde und zu einer beispiellosen Friedensperiode in Europa geführt hat. Mein Europa nimmt sich Zukunftsthemen wie der Bildung der nachfolgenden Generationen an und versucht Trends zu setzen. Allerdings schafft mein Europa auch einen sozialen Ausgleich und versucht auf diesem Wege, die Europäer/-innen zu vereinen. Es geht nicht um Politik oder puren Machterhalt. Es geht um nichts weniger als die grundsätzliche Frage, ob wir die Themen der Zukunft als kleine Einzelstaaten oder als gemeinsamer Interessenblock lösen. Oder hätten die USA oder China Interesse, Handelsabkommen mit den europäischen Staaten einzeln abzuschließen? In den Schulen muss einfach erklärt werden, was die EU gerade ist, nicht welche Erwartungen an sie gestellt werden …
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