„Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ (Johannes 8, 7) Doch wer einen Stein geworfen hat, hat sich jedenfalls etwas zu Schulden kommen lassen. Das Niveau gesellschaftlicher Auseinandersetzungen hat jenen Tiefpunkt erreicht, an dem statt zivilisierter Worte, Steine geworfen werden. Nicht nur im übertragenen Sinn. Man sagt, dass der erste Mensch, der in der Urgeschichte ein Wort statt eines Speers geworfen hat, die Zivilisation begründete. Bei den Demonstrationen letzte Woche in Wien war dieser Mensch nicht dabei …
1. Radikalismen nehmen überhand!
Linksextreme verhalten sich wie Rechtsextreme und beide Gruppen polarisieren die Gesellschaft, in der sie leben. Die Gewalt der Worte resultiert immer mehr in physischer Gewalt. Dabei scheint es gar nicht mehr wichtig zu sein, auf sein Gegenüber in irgendeiner Form einzugehen und dessen Standpunkt nachvollziehen zu können. Dieses Klima wurde ursprünglich vermutlich von rechten Gruppierungen der Gesellschaft geprägt. Lautsein um jeden Preis, Auffallen um jeden Preis. Egal, ob man das Audimax der Universität Wien stürmt, oder sich vom Burgtheater abseilt. Natürlich ist so etwas zu verurteilen, keine Frage! Und selbstverständlich darf darüber diskutiert werden, welche mediale Bühne den Identitären geboten wird. Aber, ob Steine dafür notwendig werden?
„Der Horizont vieler Menschen ist ein Kreis mit dem
Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt!“
(Albert Einstein)
2. Diskussion Fehlanzeige!
Eine Diskussion zwischen den beiden Extremen einer Gesellschaft findet nicht mehr statt. Im Gegenteil! Steine werden geworfen und jemand lebensgefährlich verletzt. Sind diese Zustände eines westlichen Landes wie Österreich würdig? Wir verlassen stetig den Boden der Rechtsstaatlichkeit und finden es in Ordnung. Während einer Demonstration darf sich niemand vermummen. Punkt! Andererseits darf nicht gegen eine Gruppe von Menschen gehetzt werden. Punkt! Sonst befinden wir uns in einer Situation, die an Bürgerkriegsländer erinnert, aber sicher nicht an Österreich. Niemand sollte bei einer Demonstration durch einen Stein oder durch Worte in seiner Integrität verletzt werden. Punkt! Mit Sorge beobachte ich, dass nicht mehr (besonders von linken Gruppierungen) „drüber gestanden“ werden kann. Auch wenn es sehr, sehr schwer fällt.
3. Müllabladeplatz soziale Netzwerke!
Es fällt deswegen schwer, weil Verschwörungstheorien in großem Stil den Geist zu benebeln scheinen. Gestern bin ich über eine Diskussion (Anm. d. Red.: Auf Google+) über die Ermordung von Jo Cox, der Labour-Abgeordneten, gestoßen. Und sie wurde tatsächlich als Bauernopfer der „Brexit-Gegner“ bezeichnet. Über ein Mordopfer eines fehlgeleiteten und offensichtlich psychisch kranken Menschen derart zu schreiben, ist geschmacklos, pietätlos und sind eher „Dinge“, die der nächsten Toilettenspülung zum Opfer fallen sollten. Hier ruhig zu bleiben, ist schwer. Aber irgendjemand muss anfangen.
Fazit: Akzeptanz trotz Provokation?!
Toleranz zu üben, wen das Gegenüber intolerant ist, ist sicher schwer und das verlangt niemand. Aber wir sollten akzeptieren, dass wir eine diversifizierte Gesellschaft sind, in der verschiedene Standpunkte nebeneinander leben können. Wünschte ich mir, ich müsste mich nicht mit rechtem Müll befassen? Sicher! Aber eine Demokratie - vor allem unsere - sollte das aushalten. Wir sollten akzeptieren, dass es extreme Positionen gesellschaftlicher Gruppierungen gibt, die keinesfalls die Mehrheit der Gesellschaft abbilden - auch wenn die Interaktion in sozialen Netzwerken das Gegenteil suggeriert. Ich mache mir Sorgen über Staatsvertreter/-innen, die diesem Trend folgen und jenen Gruppierungen auf den Leim gehen. Vorsicht ist geboten: Vorsicht, wem wir unsere demokratische Stimme geben, wessen Gefühle wir verletzen und welche Verschwörungstheorien, wir ablehnen sollten …
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