Die Wahl zum Bundespräsidenten der Republik Österreich wurde gestern mit einem denkbar knappen Abstand zugunsten Alexander Van der Bellens entschieden. Nachdem sich die Wogen geglättet und die Gemüter beruhigt haben, kann damit begonnen werden, die Lehren aus den vergangenen fünft Monaten Wahlkampf zu ziehen. Fünf Monate, die im Sinne der politischen Bildung höchst interessant waren und daran erinnerten, dass in einer Demokratie tatsächlich Umwälzungen stattfinden, wenn der Souverän - die Bürger/-innen - einen Wechsel will.
Politestablishment abgewählt!
Egal, ob man sich in letzter Zeit auf die Seite Van der Bellens oder Hofers gestellt hat. Eines wurde überdeutlich: Die Unzufriedenheit der Menschen mit dem aktuell herrschenden System ist sehr groß. Allein die Tatsache, dass drei Kandidat/-innen mehr Stimmen als die Vertreter der ehemaligen Großparteien erhielten, belegt das. Doch die Unzufriedenheit geht tiefer. Wenn das Land gespalten ist, dann nicht entlang der Begriffe Links und Rechts. Es ist gespalten in Wohlstandsbewahrer/-innen und Wohlstandsverlierer/-innen. Letztere empfinden sinkende Chancengleichheit, sozialen Druck und Zukunfts-Pessimismus. Wenn der neue Bundeskanzler von einem Schauspiel aus Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit sprach, gibt er genau diese Ressentiments wieder. Der Brückenbauer soll nun ein ehemaliger Universitätsprofessor sein, der sich sein Leben lang mit Volkswirtschaft und Verteilungsfragen beschäftigt hat. Gute Voraussetzungen! Denn dieses Land braucht eine Verteilungsdebatte ohne Scheuklappen, die die Ängste der Verlierer/-innen einbezieht.
Es gibt keine Verschwörungen!
Bei einer derart knappen Wahlentscheidung werden selbstverständlich Betrugsvorwürfe laut - vor allem unter den Verlierer/-innen. Doch es handelt sich nicht um einen Van-der-Bellen-Code oder eine Anti-Hofer-Verschwörung. Demokratische Mechanismen müssen einfach verstanden werden und hier ist das Bildungssystem gefordert, den Menschen Erklärungen zu geben. Wie ist es möglich, dass die Stimmen der Wahlkarten ein Wahlergebnis so entscheidend gegen den Bundestrend verändern können? Zum Einen haben 14 Prozent der Wahlberechtigten eine Wahlkarte beantragt. Das bedeutet, dass am Sonntagabend nur 86 Prozent der Stimmen ausgezählt waren.
Zum Anderen können die Wahlkarten als eigene Stadt gesehen werden. Wie andere Städte auch, gehen sie gegen den allgemeinen Bundestrend. Allgemein kann vorausgesetzt werden, dass sich nur eine kritische Masse an Bürger/-innen die „Mühe“ macht, eine Wahlkarte zu beantragen. Jene Menschen haben sich längere Zeit mit ihrer Wahl auseinandergesetzt. Sie sind meist besser gebildet und leben in urbanen Umgebungen. Das ist nicht vorrangig die Zielgruppe der FPÖ.
Polarisiert, aber diskutiert!
Dieser Aspekt der letzten Wahlen stimmt mich besonders positiv. Natürlich nehmen wir eine Art Polarisierung wahr, vielleicht sogar eine Spaltung. Aber es ist eine Spaltung entlang bestimmter Themen, welche die Menschen in diesem Land bewegen. Von der vielzitierten Politikverdrossenheit war wenig zu beobachten. Selten wie nie wurden entgegengesetzte Standpunkte so lebhaft ausgetauscht. Selten wie nie konnte man eine Politisierung der Menschen beobachten. A priori ist das ein gutes Zeichen. Wenn Wahlen geschlagen sind, ist es die Aufgabe des Wahlgewinners die Gemüter wieder zu beruhigen und Sorgen der „Gegenseite“ aufzunehmen und anzusprechen. So funktioniert ein demokratisches System.
Im Unterricht sollten diese Prinzipien den Schüler/-innen noch viel stärker vermittelt werden. Natürlich treten Argumente in einen Wettstreit. Dieser wird mitunter heftig und polarisierend geführt. Doch am Ende gibt es eine demokratische Abstimmung und der Wille der Mehrheit wird umgesetzt.
Optimistische Zukunft?!
Seit gestern hat Österreich einen neuen designierten Bundespräsidenten und seit letzter Woche eine neue Bundesregierung. Lange geforderte Veränderungen wurden erfolgreich angestoßen. Die österreichischen Wähler/-innen haben erkannt, dass nur sie Veränderungen während der Wahlen anstoßen und tatsächlich etwas bewegen können. Sie haben auch erkannt, dass buchstäblich jede abgegebene Stimme zählt. Positiv stimmt mich, dass die Wahlbeteiligung dieses Mal höher als bei der Wiederwahl Heinz Fischers war und, dass eine breite politische Diskussion unter den Menschen stattfand.
Den Befund, dass Österreich gespalten ist, teile ich nur bedingt. Natürlich wurde zwischen zwei extremen Polen entschieden und allein diese Voraussetzung führt zu diesem Bild. Aber es bewegen sich weder die Grünen noch die FPÖ realpolitisch in Sphären um die 50 Prozent der Wählerstimmen. Und wenn tatsächlich mehr direktdemokratische Initiativen gesetzt werden, so treffen wir in Zukunft öfter polarisierende Entscheidungen. Denn eines ist die Wahl zum Bundespräsidenten aufgrund der Persönlichkeitswahl jedenfalls: Direkte Demokratie!
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