Die Europäische Kommission verfolgt mit der eSkills4Jobs-Kampagne das Ziel, den Stellenwert der IT in der Gesellschaft deutlich zu machen. Bildungsinitiativen in diese Richtung sollen unterstützt werden, damit Europa nichts an Innovationskraft und Expertise verliert. Die Angst besteht zurecht, dass das Know-How nach Fernost abwandern könnte. Aber wird diese Diskussion ernsthaft und aufrichtig geführt?
Das Skills-Gap!
In Europa klafft die Schere zwischen den digital kompetenten Menschen und jenen, die in der digitalen Steinzeit verweilen weiter auseinander. Zwar gibt es eine Reihe hochtechnisierter Ausbildungsstränge, die Mehrheit - so die These der Europäischen Kommission - ist aber weit davon entfernt, mit ausreichend digitalen Fertigkeiten ausgestattet zu sein. Diese Menschen sind strukturell auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. Doch auch ihr soziales Leben erfährt erhebliche Einschränkungen, zumal sich die Ebenen der gesellschaftlichen Kommunikation vervielfältigt haben. Dieses „Skills-Gap“ zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern, wurde zur Priorität der Europäischen Kommission. Man hofft, Bildungsreformen in diese Richtung anstoßen zu können.
Das verlangen Unternehmen!
Ausgangspunkt der Debatte sind die nicht erfüllten Erwartungen privatwirtschaftlicher Unternehmen. Diese fordern, dass die Absolvent/-innen eines Bildungssystems - egal auf welcher Ebene - über ein entsprechendes Set an digitalen Fertigkeiten verfügen. Allerdings verschwinden in diesem Zusammenhang die Grenzen zwischen allgemeinen Fertigkeiten und speziellen Anforderungen. So kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Verwendung des Buchhaltungssystems SAP allgemein geläufig ist. Simple Fragen der Textverarbeitung, Präsentation oder Tabellenkalkulation gehören hingegen heutzutage zu den kulturellen Fertigkeiten, die jede/r beherrschen sollte. Verantwortliche eines Bildungssystem stehen vor der Herausforderungen, die Grenze zwischen Allgemein- und Spezialwissen zu ziehen und diese nicht von der Privatwirtschaft diktieren zu lassen. Aber befinden wir uns nicht längst an diesem Punkt?
Zertifikate als Parallelbewertung?
In Österreich werden die digitalen Fertigkeiten wunderbar im System der Digi.Komp aufgelistet. Diese sollten am Ende der jeweiligen Schullaufbahn vollends erfüllt werden. Somit erhielt beispielsweise der Informatikunterricht in der Schule genaue Lernziele. Kein/e Schüler/-in sollte ohne digitale Kompetenzen abschließen. Doch die Realität stellt sich etwas anders dar. Der Reihe nach wurden neue Zertifikate privatwirtschaftlicher Unternehmen in den Unterricht integriert. Dass der Europäische Computerführerschein (ECDL) nun im Informatikunterricht vorbereitet und geprüft wird, ist nur die Spitze des Eisbergs. Nachdem sich Unternehmen offenbar nicht an den Noten des Informatikunterrichts zuverlässig orientieren können, werden diese ignoriert und Zertifikaten wird eine höhere Bedeutung gegeben. Doch genau diese Entwicklung führte dazu, dass selbst die Eltern mehr Wert auf Zertifikate als auf Schulnoten zu legen scheinen. Die Überlegung ist klar: Es soll das gelernt werden, was später in der Wirtschaft verlangt wird. Hier hat die Privatwirtschaft dem Schulsystem bereits ihre Bedingungen diktiert. Ob der pädagogische Kontext erfüllt ist, scheint eine nebensächliche Rolle zu spielen.
Fazit: Keine ehrliche Diskussion!
Die Forderung, dass alle Schüler/-innen über entsprechende digitale Kompetenzen verfügen müssen, ist trivial. Wichtiger ist die Frage, wer diese Kompetenzen schult. Persönlich bin ich der Auffassung, dass Bildung in die Schule gehört. Zwar können und sollen immer wieder private Initiativen ergänzend wirken, aber sie dürfen niemals eine Art Parallelstruktur zu Schule aufbauen. Denn eines ist naheliegend: Der Erwerb von Zertifikaten geht in Richtung Ausbildung. Die Schule ist aber nicht für Ausbildung, sondern Bildung zuständig. Deshalb sollte auch der Kriterienkatalog nach digi.komp4, 8, 9 und 12 erfüllt werden. Der Erwerb von Zertifikaten sollte dann ein Leichtes sein. Darüber hinaus mutet es etwas grotesk an, privatwirtschaftliche Zertifikate (z.B. ECDL) als Standard einzuführen, zumal diese mehr auf spezielle Softwarelösungen zugeschnitten sind (z.B. Microsoft Office). Ich habe ja auch nicht den VW-Führerschein gemacht, sondern den Autoführerschein. Ich brauche keine ECDL-Prüfung, wenn ich die Digi.Komp erfülle. Das ist der Geist der Bildung.
Aber wie sieht es mit der Verantwortung der Unternehmen aus? Es gibt eine Reihe gut ausgebildeter junger Menschen, die über die geforderten digitalen Fertigkeiten verfügen. Aber werden sie in der Masse gut bezahlt? Eher nicht. Viele Unternehmen weichen auf Computer Support-Services in Fernost aus. Der Vorteil, dass in der Informatik „remote“ (Anm.: aus der Ferne) gearbeitet werden kann, wird genutzt. Weiter im Osten ist das Lohnniveau anders gestaltet und dieser vermeintliche Vorteil wird genützt. Wenn ich also jungen Menschen nahelege, in der IT oder in den Naturwissenschaften ihre Ausbildung zu suchen, muss ich sie auch später entsprechend entlohnen. Denn sonst passiert trotz Ausbildungsinitiativen genau das, was eigentlich vermieden werden sollte: Aus Kostengründen wandert das IT-Know-How nach Fernost ab …
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