In den Medien wurde er seit Jahren als möglicher Nachfolger genannt. Nun hat sich die SPÖ auf eine neue Führung geeinigt. Christian Kern übernimmt eine SPÖ in der Identitätskrise, in der Selbstfindung. Dass er nicht aus dem politischen Establishment kommt, rechnen ihm die Menschen positiv an, denn man ist müde der klassischen Berufspolitiker/-innen. Doch damit auch das Gefühl des Wandels in der Bevölkerung ankommt, wird die SPÖ auch einen willigeren Koalitionspartner brauchen und genau dieser verstrickt sich lieber in taktischen Geplänkeln.
Rücktritt als Auslöser!
Als der ehemalige SPÖ-Chef und Bundeskanzler Werner Faymann seinen Rücktritt verkündete, wirkte es, als träfe er seine Partei unvorbereitet. Doch ihm muss bewusst gewesen sein, was erst Tage später in einem Interview mit Gerhard Zeiler ans Tageslicht kam. Dieser hätte sich bei einem Parteitag einer Kampfabstimmung gegen Faymann gestellt und mit der zunehmenden Unzufriedenheit mit Faymann, wären seine Chancen gut gestanden. Doch die Partei hätte es zerrissen. Als er ging, hat Faymann dieses Szenario vermieden. Die Obmann-Debatte ging deswegen los, weil der Kampfkandidat Zeiler plötzlich eine andere Rolle hatte.
Des Pudels Kern!
Als Johann Wolfgang von Goethe von des Pudels Kern sprach, meinte er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht Christian Kern. Doch für die SPÖ scheint Christian Kern keine Kompromisslösung zu sein, sondern der ersehnte Wunschkandidat. Es wird gehofft, dass er jene Dynamik in die Politik bringt, mit der er die ÖBB umstrukturiert hat - konsequent und sozial fair. Besondere Aufmerksamkeit erhielt er, als er unkompliziert den Transport mehrerer Tausend Flüchtlinge per Bahn organisierte. In der Bevölkerung erntete er dafür Respekt, auch wenn schon damals Stimmen von rechter Seite gegen ihn laut wurden. Christian Kern wurde als sozialer Gegenpol zum Schwenk Werner Faymanns in der Flüchtlingspolitik gesehen.
Ein kalkulierter Empfang der ÖVP!
Noch vor der offiziellen Verkündung Christian Kerns als Nachfolger Faymanns schoss der Pit Bull der ÖVP, Reinhold Lopatka, quer. Wenn Kern so wirtschafte, wie bei der ÖBB, wäre das Land pleite. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde Beobachter/-innen klar, dass der angekündigte Stilwechsel innerhalb der Bundesregierung taktischen Überlegungen zum Opfer fallen würde. Wenn es der ÖVP gelingt, rechtzeitig die SPÖ und ihre neue Führung zu diffamieren, wäre eine spätere Koalition mit der FPÖ glaubwürdiger. Dass dieser Stil keine Zustimmung in der Bevölkerung erhält, sollte sich auch bis zu Herrn Lopatka herumgesprochen haben. In der jüngeren Vergangenheit kam es nicht vor, dass der Generalsekretär der ÖVP (Anm. d. Red.: Peter McDonald) den eigenen Klubobmann zurückpfeifen musste. Doch gestern ist das medial geschehen. Vielleicht doch ein Zeichen für Veränderung?
Neues Team, neuer Wind und mehr Dynamik?
Die SPÖ gewährte Christian Kern alle Freiheiten bei der Umstrukturierung seines Regierungsteams. Einige Personen werden wohl dieser Umstrukturierung zum Opfer fallen. Minister/-innen, die gemeinhin mit Stilstand assoziiert werden. Wenn ein Kurs- und Glaubwürdigkeitswechsel innerhalb der Regierung stattfinden kann, dann jetzt. Auch der Regierungspartner tut gut daran, die sich bietenden Chancen für eine Image-Korrektur zu nützen. Taktische Spiele zwei Jahre vor der nächsten Nationalratswahl zu spielen, goutieren die Wähler/-innen keinesfalls und treiben sie geschlossen in die Hände der FPÖ, an deren Wahlerfolg niemand mehr zu zweifeln vermag. Konsequente Haltungen werden mehr belohnt als die Nase nach dem politischen Wind zu richten. Wiens Bürgermeister Michael Häupl hat mit einer konsequenten Haltung die Wahlen gewonnen. Die FPÖ hat seit Jahren eine konsequente, wenn auch menschenverachtende Haltung und gewinnt. SPÖ und ÖVP versuchen, sich anzupassen und verlieren stetig. Vielleicht kann ein politisch unbelasteter Kern der Sozialdemokratie jene Werte zurückgeben, wegen der viele Menschen sie wählen …
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