Die Flüchtlingsbewegungen des letzten Jahres haben gerade in Österreich wunderbare Stilblüten politischer Rhetorik hervorgebracht. Zäune, die keine sind, eine Obergrenze, die gemäß der Verfassung nur ein Richtwert sein darf und nun eine Staatsgrenze, von der man nicht weiß, ob sie nun gedichtet werden sollte, oder doch nicht. Der Brenner ist aber weit mehr als eine sensible Grenze, die aber etwas nicht braucht …
Ein historisches Symbol
Geopolitisch ist der Brennerpass etwas Besonderes. Er verbindet Österreich mit Italien, Nord- mit Südtirol und ist eine der wichtigsten Transitadern eines geeinten Europas. Auf über 1.300 Metern Seehöhe gelegen, war er bereits in der Antike ein Schlüsselpass und bis zur Fertigstellung der Brennerautobahn 1963 bzw. der Lawinenschutzbauten 1975 recht gefährlich. Als Österreich im Jahr 1995 der Europäischen Union und dem Schengen-Raum beigetreten ist, fand etwas statt, was viele ältere Generationen nicht mehr für möglich hielten. Durch das Wegfallen der Grenzkontrollen wurde Nordtirol mit Südtirol im Alltag verbunden. Verwandte konnten einander wieder problemlos - ohne längere Grenzkontrollen - besuchen.
Symbol eines gescheiterten Europas?
Während des letzten Jahres sind die Risse eines geeinten Europas überdeutlich geworden. Vor allem das Solidaritätsverständnis à la carte bereitet mir als überzeugtem Europäer Kopfzerbrechen. Bei der Verteilung von Fördergeldern kann es kein Mitgliedsland erwarten, seine Ansprüche anzumelden, doch wenn es darum geht, Flüchtlinge per Verteilungsquote aufzunehmen, wird sogar der Weg zum Europäischen Gerichtshof nicht gescheut. Allein, dass es gesellschaftlich akzeptiert wird, dass man den Klageweg zum EuGH antritt, um sich aus der humanitären, solidarischen Verantwortung zu ziehen, ist bedenklich. Das zeugt von einem katastrophalen Menschenrechtsverständnis.
Geschmacklos Herr Strache!
Und die geschmackloseste Aussage kam mal wieder vom FPÖ-Chef. Als er vor einiger Zeit Bundeskanzler Werner Faymann als Staatsfeind bezeichnete, dachte ich, der politische Umgangston in diesem Land hat ein Tief erreicht. Doch Angela Merkel und Matteo Renzi im Zuge der Brenner-Debatte als Schlepper zu bezeichnen, überspannt den Bogen der politischen Haltung. Auch zahlentechnisch kann dafür kein Beleg gefunden werden. Seit Jahresbeginn, passierten 26.000 Flüchtlinge (http://orf.at/stories/2337936/2337937/) den Brennerpass. Im Vergleichszeitraum im letzten Jahr, waren es 2.000 weniger.
Zweimal nachdenken!
Warum kommen streitbare Aussagen in dieser Häufigkeit immer von der FPÖ? Auch die Parteichefin der Grünen hat sich mit der Bezeichnung „Schurkenstaat“ (Anm. der Redaktion: Bezeichnung der Rolle Österreichs im Zuge der Affäre der Panama Papers) nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Aber, dass sich ein ausländischer Premierminister dazu veranlasst fühlt, die österreichische Innenpolitik zu kommentieren, zeigt die Geschmacklosigkeit mancher Aussagen, die tatsächlich „grenzenlos“ zu sein scheint. Viel bedenklicher ist, dass andere politische Parteien kein schlüssiges Gegenargument liefern können, sodass die FPÖ in allen Umfragen haushoch führt. Dass ihr Bundespräsidentschaftskandidat Norbert Hofer eine mehr als reale Chance hat, in die Hofburg zu ziehen, verstärkt diesen Aspekt.
Bisher fehlt eine Distanzierung von Norbert Hofer zu den Aussagen seines Parteichefs. Immerhin hat Alexander Van der Bellen die Aussage von Eva Glawischnig als überzogen verurteilt. Das zeigt die tatsächliche Geisteshaltung der beiden Kandidaten. Dass die Bezeichnung „unabhängiger Kandidat“ von Alexander Van der Bellen tatsächlich überparteilich ausgelegt wird, hat er spätestens mit dieser Kritik gezeigt. Dass sich Norbert Hofer als FPÖ-Kandidat bezeichnet und sich noch nicht von den Aussagen Straches distanziert hat, spricht Bände. Auf die Frage, ob eine Aussage vielleicht überzogen war, wird aus Reihen der FPÖ immer mit folgender Einleitung geantwortet: „Was der Kollege/die Kollegin damit meinte, war …“
Der fehlende Anstand, sich für politische Aussagen jenseitig des politischen Geschmacks zu entschuldigen, sollte uns Wähler/-innen ein Auftrag sein, zweimal nachzudenken, wer unsere Stimme bei der nächsten Wahl bekommt. Auch für das gesellschaftliche Klima eines Landes ist das zentral. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, die von einem politischen Klima der Intoleranz, des Hasses und der Geschmacklosigkeit geprägt wird. Ich persönlich weiß, wer meine Stimme bei der nächsten Wahl bekommt …
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