Es war der Tag der Arbeit. Ein Staatsfeiertag und traditionell ein Fest für die Sozialdemokratie. Jedes Jahr versammeln sich die Genoss/-innen und erinnern an die hart erkämpften Rechte der Arbeiter/-innen (obwohl der Begriff der Arbeiter/-innen in seiner Urform nicht mehr existiert). Soziale Werte, Gleichberechtigung und Fairness sind jene Schlagworte, welche die politische Haltung definieren, aber war das auch dieses Jahr so? Traditionell wird ein Aufmarsch am 1. Mai organisiert, doch erinnerte dieser nicht eher an einen Aufstand?
Seit längerer Zeit muss der sozialdemokratischen Partei Österreichs klar sein, dass sie sich neu erfinden muss. Nicht, weil sie einige Wahlen verloren hat, nicht, weil die Präsidentschaftswahl eine sozialdemokratische Identitätskrise zu Tage brachte. Die Menschen und die Gesellschaft, in der sie leben, haben sich verändert. Sie haben sich modernisiert, sind mit der Zeit gegangen. Die Arbeiter/-innen sind nicht mehr jene Menschen, die verstaubt in Kohlminen unterbezahlt arbeiten. Es sind viel mehr prekär beschäftigte Menschen und Frauen, die noch immer nicht den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit gemessen an ihren männlichen Kollegen bekommen.
Es sind Kinder, deren Zukunft ungewiss ist und durch ein krankes Bildungssystem nicht verbessert wird. Und es sind generell Menschen, die sich erheblich durch ein globales Wirtschaftsgeflecht benachteiligt fühlen, weil ihnen nicht die gleiche gesellschaftliche Partizipation zu Teil wird. Doch die führenden Politiker/-innen müssen diese Umstände erst verstehen. Sie müssen den gesellschaftlichen Wandel akzeptieren und erkennen, dass sie mit der Zeit gehen müssen. Die Menschen, für die sie Politik machen wollen, finden nicht einmal mehr Zeit, um auf der Straße zu protestieren. Sie protestieren virtuell in sozialen Netzwerken und formulieren dort seit langem jene Sorgen, die sie beschäftigen.
„Wer glaubwürdig sein will, muss den Dialog suchen.“ (Heinz Goldmann)
Wurde auf sie gehört? Nein! In der SPÖ wundert man sich über eine nach außen friedlich wirkende Gesellschaft und betrachtet die Beschäftigungs- und Wirtschaftszahlen, die im europäischen Schnitt zwar schlechter werden, aber immer noch recht gut sind. Diese Kombination führt zum Irrglauben, dass „gute“ Politik gemacht würde. Bis gestern! Denn wenn der 1. Mai auf einen Sonntag und nicht ins buchstäbliche Wasser fällt, finden die Menschen Zeit, ihren Unmut auch auf der Straße kundzutun. Der politische Aufmarsch wird zu einem Aufstand und die Parteigranden sollten dankbar darüber sein, denn diese Botschaft sollten auch sie verstehen.
Ein Parteivorsitzender ohne Stolz und Moral predigt in seiner Rede von sozialen Werten einer modernen Gesellschaft, die er nicht zu verstehen scheint. Stattdessen zieht man den Trugschluss, dass „blaue“ Politik erfolgreicher sein muss, wenn mann den Abgang der Wähler/-innen beobachtet. Doch der wahre Unterschied liegt im Gefühl. In ihrer „neuen politischen Heimat“ wird das Gefühl vermittelt, man nehme sich Zeit und höre zu (egal, ob das faktisch richtig oder falsch ist). Das Wochenende hat gezeigt, dass die angekündigte, strategische Diskussion in der SPÖ stattfinden muss. Doch sie betrifft nicht Haltungen zu anderen Parteien, sie betrifft die eigene Wahrnehmung der Realität …
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