Es ist nicht nur ein österreichisches oder europäisches Phänomen. In den USA fordert der Wahlkampf, der von aggressiven Kampagnen mit Schmutzkübeln geprägt wird, sein erstes Opfer. Aber dieses Mal heißen die Opfer nicht Trump, Clinton, Sanders oder Cruz. Dieses Mal ist das Wahlvolk das Opfer. Es wendet sich von der Politik ab. Dieses Phänomen ist in den USA allerdings neu. Dass in der Gegenwart und Vergangenheit der Kandidat/-innen nach Schmutz gesucht wird, hat lange Tradition.
Dass jede/r von uns sprichwörtliche Leichen im Keller hat, überrascht in Österreich niemanden. Aber offenbar sind wir da nüchterner. Dass in den USA über jede/n etwas Kompromittierendes gefunden wurde, hat zur öffentlichen Meinung geführt, alle Kandidat/-innen würden lügen. Spannend ist, dass offenbar höhere moralische Maßstäbe an Menschen des öffentlichen Lebens gelegt werden. Diese Erwartungshaltung ist ebenso absurd, wie die Erwartung, Nordkorea könne die westliche Welt über die Meinungsfreiheit aufklären. Ist daher die Politikverdrossenheit vielleicht ein Scheitern an den individuellen Maßstäben der Wähler/-innen? Maßstäbe, die selbst nicht erreicht werden können, aber von den Anderen erwartet werden.
In diesem Zusammenhang sollten zwei Begriffe unterschieden werden: Die Politikverdrossenheit als Resignation vor dem System einerseits, oder die Politikerverdrossenheit, welche die Enttäuschung über die Personen in der Politik ausdrückt, andererseits. Egal, welche Verdrossenheit gemeint ist, Länder mit jungen oder fehlenden Demokratien beneiden uns um diesen Luxus. Denn die Menschen in diesen Ländern können gar nicht in unserer gewohnten Form an ihrem politischen System teilhaben. Vielleicht sollten wir unsere Verdrossenheit in Demut umwandeln …
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