Seit einiger Zeit beobachte ich Entwicklungen der AkteurInnen in der Politik mit großer Sorge, teilweise mit Entsetzen. Nicht nur in der Politik, sondern auch gesellschaftlich scheinen Radikalismen längst salonfähig zu sein - aus Angst, Futterneid, Unwissenheit und - ganz sicher - Unbedacht. Das Spiel mit den teilweise berechtigten Ängsten der BürgerInnen, um WählerInnen im rechten Spektrum zu gewinnen ist gefährlich und geht mit hoher Wahrscheinlichkeit nach hinten los.
Eine wegen Verhetzung rechtskräftig verurteile Nationalratsabgeordnete spricht ein WählerInnensegment an, das ihre Partei bisher abdecken wollte, weshalb ihr die Stange gehalten wurde. Menschen in der Gesellschaft begreifen nicht mehr - und das ist gut so - welche Gefahren oder Existenzängste Kriege in Menschen auslösen und welche Motive sie zur Flucht treiben. Es sollen wieder Zäune aufgestellt werden, nachdem wir über 50 Jahre daran gearbeitet haben, diese abzubauen, nicht nur baulich, sondern auch in Köpfen. Doch letzteres scheint - das zeigen die Entwicklungen der letzten Monate - nicht gelungen zu sein. Auf die Tatsache, dass über 500 Millionen EuropäerInnen (http://de.statista.com/statistik/daten/studie/14035/umfrage/europaeische-union-bevoelkerung-einwohner/) potenziell ein paar Millionen Flüchtlingen bewältigen könnten, reagiert man mit einer staatlichen Einigelung, die bestenfalls an nationalstaatliche Entwicklungen um 1850 erinnern.
Die Gesellschaft radikalisiert sich auch, spricht davon, dass das Boot zu voll wäre, Belastungsgrenzen erreicht sind und man nicht jede/n aufnehmen kann. Vergessen wird, dass Asyl ein Menschenrecht ist, andere Glaubensrichtungen gleichgestellt sind und Menschen Menschen bleiben, egal woher sie kommen. Dann wird klar, dass Europa mit über 500 Millionen EinwohnerInnen jeden Flüchtlingsstrom bewältigen kann, selbst wenn alle Flüchtlinge weltweit aufgenommen würden. Vielleicht wird irgendwann auch klar, dass Europa nicht dem Christentum sondern der Aufklärung verpflichtet ist. Konfessionelle Glaubenskriege haben Europa lange genug beschäftigt - im römischen Reich, während der Kreuzzüge, während der Inquisition und während der Reformation. Wir tun gut daran, aufzuwachen …